REISEN OHNE FICHIERUNGSZWANG!

1. Mai 2009

aus 1.Mai-Zeitung Zürich

Am 17. Mai wird in der Schweiz über die «Übernahme der Verordnung über biometrische Pässe und Reisedokumente» abgestimmt. Wer nicht zur gläsernen Bürgerin und zum gläsernen Bürger werden will, sollte Nein stimmen.

Das Wichtigste vorneweg: Ein Nein am 17. Mai bedeutet lediglich, dass Bundesrat und Parlament die Gesetzesvorlage überarbeiten müssen. Wer künftig einen biometrischen Pass braucht oder will, kann diesen weiterhin erhalten.

Mit einem Nein behalten wir aber die Wahlfreiheit. Wir sorgen dafür, dass wir künftig auch eine ID-Karte ohne biometrische Daten beantragen können. Zudem verhindern wir, dass unsere biometrischen Daten in einer überflüssigen zentralen Datenbank gespeichert werden.

Ungebrochener Glaube an die Technik

Im Jahre 2003 führte die Schweiz den maschinenlesbaren Reisepass ein. 2006 folgte – auf Druck der USA – der «biometrische Pass» mit einem digitalisierten und elektronisch gespeicherten Gesichtsbild (E-Pass). Neu soll der Pass neben dem digitalisierten Gesichtsbild auch zwei digitalisierte Fingerabdrücke enthalten. Die Daten würden auf einem RFID-Chip gespeichert, einer kleinen «elektronischen Wanze» (Radio Frequency Identification Tag, das Auslesen erfolgt «auf Distanz», mittels elektromagnetischer Wellen).

Digitale biometrische Daten werden seit dem 11. September 2001 als wahre «Wunderwaffe gegen alles Böse» angepriesen. Zum Einsatz kommen sie aber längst nicht nur im «Kampf gegen den Terrorismus»: Migrant/-innen werden in der europaweiten Fingerabdruck-Datei EURODAC erfasst und am Flughafen wird ihr Gesicht automatisch elektronisch gespeichert; die Gesichter von Stadionbesucher/-innen werden biometrisch vermessen und die Daten mit «Hooligan-Datenbanken» verglichen.

Als Hauptargument wird angeführt, die Sicherheit der Gesellschaft könne mithilfe biometrischer Daten erhöht werden. Dahinter steht der ungebrochene Glaube daran, dass Probleme mit technischen Mitteln gelöst werden könnten. Dabei wird meist übersehen, dass technische Mittel Probleme meist nur verschieben und neue entstehen lassen. Auch der «biometrische Pass» ist keineswegs «fälschungssicher», wie oft behauptet wird. Er bringt aber neue Probleme mit sich, etwa die Frage, wie das unberechtigte Auslesen (und der Missbrauch) der auf dem RFID-Chip gespeicherten Daten verhindert werden könne.

Handfeste Interessen

Mit der ansteigenden Verunsicherung in der Gesellschaft sind auch die Umsätze der Sicherheitsindustrie gestiegen. Sie verspricht einfache technische Lösungen für komplexe Probleme. Es ist kein Zufall, dass das Ja-Komitee für seinen Abstimmungskampf zur aktuellen Abstimmungsvorlage von Wirtschaftsverbänden und Firmen wie Orell Füssli oder

Trüb AG kräftig unterstützt wird. Orell Füssli ist der Generalunternehmer für den Schweizer Pass und Trüb AG stellt bereits für andere Staaten biometrische Dokumente her.

Zentrale Datenbank: Unnötig und gefährlich

Bundesrat und Parlament argumentieren, der biometrische Pass müsse auf Druck der USA und der EU («Schengen-Besitzstand») eingeführt werden. Eine zentrale Datenbank, in welcher alle biometrischen Daten während zwanzig Jahren (!) gespeichert werden, sei gegen Passfälschungen und für den Abgleich an der Grenzkontrolle zwingend notwendig. Eine zentrale Datenbank wird aber weder von den USA noch von der EU verlangt und ist auch nicht nötig, um die Echtheit der Reisedokumente zu prüfen. Deutschland hat sich kürzlich definitiv gegen eine solche Datenbank entschieden.

Gemäss Bundesbeschluss soll der Bundesrat allein bestimmen können, wer Zugriff auf die Einträge in der zentralen Datenbank haben darf: Staatliche Behörden im In- und Ausland, Transportunternehmen, Flughafenbetreiber oder andere «geeignete Stellen». Dass die Versuchung immer grösser wird, nicht nur zur Aufklärung von Straftaten auf diese Daten zurückzugreifen, ist selbstverständlich. Je nach politischen Ereignissen (oder Druck von aussen) könnte der Bundesrat diesen Zugriff ohne weiteres ausweiten. Weil «umfassende Datenbanken nach aller Erfahrung Begehrlichkeiten wecken» unterstützt auch die Redaktion der Neuen Zürcher Zeitung NZZ die Nein-Parole für die Abstimmung vom 17. Mai.

Sonderregelung mit der EU ist durchaus möglich

Es ist zwar richtig, dass die Schweiz mit dem Beitritt zum Schengen-Abkommen verpflichtet ist, ab 2010 nur noch biometrische Pässe auszustellen. Während der Abstimmungskampagne über den «Beitritt zu Schengen» (2005) betonte der Bundesrat aber regelmässig, dass die Schweiz selbstverständlich nicht unmittelbar gezwungen sei, sämtliche Neuerungen des Schengen-Besitzstandes ohne weiteres zu übernehmen. Bei einem Nein des Parlaments oder bei einem Volksnein zu einer einzelnen Vorlage sei

jeweils neu zu verhandeln. Genau das muss und kann der Bundesrat tun, wenn sich das Volk am 17. Mai 2009 für eine Wahlfreiheit beim Pass ausspricht.

Biometriefreie Identitätskarten

Anders als bei den Pässen ist die Form der ID ausschliesslich Angelegenheit der einzelnen EU-, beziehungsweise der Schengen-Mitgliedstaaten. Die EU hat keine Kompetenzen den Staaten vorzuschreiben, welche Art von ID-Karten (mit oder ohne digitale biometrische Daten) sie ausstellen wollen. Es gibt also keinen Grund, weshalb es künftig in der Schweiz nur noch ID-Karten mit biometrischen Daten geben soll.

Im Vorfeld der Abstimmung betonen die Befürworter, dass ID-Karten «bis auf weiteres» ohne biometrische Daten ausgestellt werden könnten. Dies ist trügerisch, denn gemäss Gesetz wird der Bundesrat künftig per Verordnung alleine entscheiden können, ob und wann auch ID-Karten nur noch mit RFID-Chips und also mit digitalen biometrischen Daten ausgestellt werden.

Reisefreiheit auch ohne biometrischen Pass

Wer für weniger als 90 Tage in die USA reisen will, braucht keinen biometrischen Pass. Bei längeren Aufenthalten ist auch mit einem biometrischen Pass zwingend ein Visum nötig. Zudem müssen alle, die ohne Visum in die USA einreisen, spätestens drei Tage vor Abreise per Internet eine Reise-Erlaubnis beantragen (elektronisches Reisegenehmigungs-System ESTA). Unabhängig von der Art des Passes (ob mit oder ohne biometrische Daten) entscheiden die USA dann, wem sie die Einreise gestatten und wem nicht.

Mit einem einfachen Nein ein klares Zeichen setzen!

Der 17. Mai bietet Gelegenheit, den zunehmenden Kontroll- und Überwachungsmechanismen einen Riegel zu schieben. Die gesetzlich garantierte Wahlfreiheit für einen Pass und eine ID mit oder ohne biometrische Daten und die endgültige Verhinderung einer zentralen Datenbank sind bescheidene aber wichtige Schritte, um den Fichierungswahn zu bremsen.

Christoph Müller und Catherine Weber, www.grundrechte.ch

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