Bundesrätin Leuthard über teureres Bahnfahren und Steuererhöhungen
Von Claudia Gnehm und Pascal Tischhauser, Sonntagszeitung
BERN Die Vorlage Finanzierung und der Ausbau der Bahninfrastruktur, kurz Fabi, die am 9. Februar zu Abstimmung steht, ist nicht die erste Bahnfinanzierungslösung, über die Stimmbürger befinden. Aber sie soll laut Verkehrsministerin Doris Leuthard die letzte sein. Mit dem Fabi-Fonds werde die Bahn ihren Unterhalt und Ausbau für die nächsten hundert Jahre finanzieren können, sagt Leuthard. Klar sei, die Zugbillette würden auch mit Fabi teurer.
Frau Bundesrätin, Sie stehen vor einer historischen Abstimmung über die Bahninfrastruktur. Werden Sie als weiblicher Alfred Escher in die Geschichte eingehen?
Eine solche Vorlage ist immer ein Teamwork, letztlich hat das Parlament die Vorlage beschlossen. Aber mit Fabi starten wir in eine neue Ära der Finanzierung.
Und wenn das Volk Nein sagt?
Eine Ablehnung verschärfte unsere Finanzierungsprobleme beim Unterhalt. Zudem würden die geplanten Ausbauprojekte auf der Strecke bleiben, weil der bisherige Fonds, der Finöv, zum Ende dieses Jahrzehnts ausläuft.
Nach dem Finöv, den BIF-Fonds - müssen wir über immer neue Fonds abstimmen?
Nein. Der Finöv-Fonds ist ja befristet, wir lösen ihn durch den BIF ab, mit dem die Bahn und ihr Unterhalt theoretisch für die nächsten hundert Jahre finanziert werden können, weil er unbefristet gelten soll. Früher haben wir zwar Ausbauten bewilligt, aber dem Unterhalt zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Mit dem neuen Fonds haben wir einen einzigen Topf, mit dem zuerst der Unterhalt und damit die Sicherheit gewährleistet wird. Erst dann werden Ausbauten finanziert.
Auf wie viele Einwohner ist Fabi ausgelegt?
Das Mobilitätsverhalten, also wer wie viel fährt, ist entscheidender als die Bevölkerungszunahme. Die Zuwanderung spielt zwar eine Rolle, stärker ins Gewicht fällt aber, dass wir häufiger unterwegs sind als früher und immer längere Strecken zurücklegen. Die Prognosen, die Fabi zugrunde liegen, beziehen sich daher auf die Entwicklung der Mobilität, beim Bevölkerungswachstum floss das mittlere Szenario des Bundesamts für Statistik ein.
Und wenn es über 10 Millionen werden, müssen wir mit japanischen Verhältnissen rechnen?
Nein. Fabi ermöglicht es dank dem schrittweisen Vorgehen, dass man auf alle Entwicklungen gut reagieren kann. Wenn am Morgen alle unterwegs sind, muss man halt aber auch einmal stehen.
Selber sind Sie schon im Zug gestanden?
Ja, selbstverständlich.
Auf den Fernstrecken?
Nicht für ganz lange Strecken. Das Stehen ist unangenehm. Wir können jedoch nicht garantieren, dass das zu Stosszeiten nicht mehr vorkommt. Für mich ist wichtig, dass wir mehr Kapazitäten zur Verfügung stellen können, mit höheren Frequenzen und mehr Doppelstockzügen. Wir prüfen weitere Ideen, wie man das Gedränge begrenzen kann.
Welche?
Zuerst sind die Bahnunternehmen gefordert, sie sind ja für die Tarife verantwortlich. Wir unterstützen sie bei ihren Bestrebungen, die Preisgestaltung zu flexibilisieren. Und wir überlegen, wie wir Betrieben und Schulen Anreize geben können, damit nicht alle gleichzeitig pendeln müssen.
Konkret, welche Anreize planen Sie?
Das kann ich noch nicht verraten. Wir werden bis Ende Jahr einen Konzeptbericht zum Mobilitypricing erarbeiten, um eine politische Diskussion zu ermöglichen.
Die SBB reden seit Jahren von verteilten Pendlerzeiten, passiert ist noch nichts.
Mit der anstehenden Swiss Card sind die Transportunternehmen auf gutem Weg. Das Problem ist aber nicht nur die Technik, sondern ob die Passagiere die Angebote annehmen oder nicht. Mit dem GA können die Bahnfahrer einsteigen und fahren, wann sie wollen.
Der Pendlerabzug bei den Steuern wird auf 3000 Franken begrenzt. Einige Kantone wollen den Abzug noch weiter begrenzen. Bringt Fabi eine breite Steuererhöhung?
Auch mit Fabi kann man ja noch 3000 Franken abziehen. Für 80 Prozent der Steuerzahler verändert sich gar nichts, weil sie aufgrund des Einkommens keine Bundessteuer zahlen oder tiefere Abzüge geltend machen. Die Kantone, die eine Begrenzung erwägen, möchten so Einnahmen erhöhen und erachten es wohl für einfacher, Steuererhöhungen durchzubringen als Sparpakete.
Machen Sie selber einen Pendlerabzug geltend?
Mein Mann fährt mit dem Auto zur Arbeit und kann entsprechende Abzüge tätigen. Ich gehe zu Fuss zur Arbeit, weil ich in Bern eine Wohnung gemietet habe.
Wir alle zahlen mit Fabi mehr, als Steuerzahler, Autofahrer und auch als Konsument. Müssten nicht die Bahnfahrer selbst mehr zahlen?
Gemäss unserer Philosophie soll auch der Nutzer mehr zahlen, und das macht er auch. Der Bund hat ja bereits die Trassenpreise erhöht und wird sie 2017 weiter erhöhen. Deswegen werden die Billettpreise 2017 nochmals etwas steigen. Aber im ÖV werden Sie nie ein System haben, das selbsttragend ist. Dafür müsste die flächendeckende Versorgung aufgegeben werden oder das GA 10 000 Franken kosten, was für mich schon aus sozialpolitischen Gründen nicht infrage kommt.
Es heisst, das Generalabonnement sei zu billig. Welchen 2.-Klass-GA-Preis sehen Sie?
Es ist nicht die Aufgabe des Bundes, die Preise festzulegen. Das müssen die Bahnunternehmen machen. Weitere Ticketpreiserhöhungen sind angesichts der Verbesserungen des Angebots aber absehbar.
Die Teuerung wird mit Mehrleistungen begründet. Diese kommen aber nicht alle fristgerecht: Der Ceneri-Basistunnel im Tessin dürfte später als Ende 2019 öffnen . . .
. . . Abwarten! Auch beim Gotthard hatten wir zwischenzeitlich Verzögerungen durch Einsprachen. Und am Schluss waren wir ein Jahr schneller als geplant.
Nicht nur für die Bahn wollen Sie einen Fonds, sondern auch für die Strasse.
Ja genau, wir werden im Februar mit der Vernehmlassungsvorlage kommen, hier kam es zu einer Verzögerung wegen des Neins zur 100-Franken-Vignette. Der Bund wollte den Kantonen ja 400 Strassenkilometer abnehmen. Wegen der Ablehnung der Erhöhung fehlt die dafür nötige Finanzierung. Damit entfallen für uns auch die damit verbundenen Strassenbauprojekte.
Die Kantone sagen aber, der Bundesrat habe sich zur Übernahme verpflichtet.
Sie berufen sich auf eine Verständigungslösung, die Teil eines Sparpakets von Bundesrat Hans-Rudolf Merz war. Das Paket scheiterte aber. Der Bund steht nicht in der Pflicht, diese Strassen zu übernehmen.
Jetzt wollen die Kantone aber eine Vignettenpreiserhöhung light auf 70 Franken, um die Strassen loszuwerden.
Im Parlament waren bereits Preise von 70 oder 80 Franken in der Diskussion. Es wollte die 100er-Vignette. Das Volk halt nicht. Wenige Monate später wieder zu sagen, es brauche eine Preiserhöhung, geht nicht.
Also muss eine andere Lösung her. Welche?
Die Strassen bleiben bei den Kantonen. Wer die damit verbundenen Strassenbauprojekte verwirklichen will, muss eine Finanzierung suchen, beispielsweise über höhere Motorfahrzeugsteuern. Oder das Parlament sorgt dafür. Ohne die entsprechenden Gelder geht es aber nicht.
Führt Fabi zu einer weiteren Zersiedelung?
Unsere Untersuchungen zeigen, dass solche Bedenken unbegründet sind. Fabi fördert die Zersiedlung nicht. Wir stimmen die Siedlungs- und Verkehrsplanung aufeinander ab. Nur wo Nachfrage besteht, wird der öffentliche Verkehr ausgebaut. Zudem kommt es bei Fabi ja vor allem zu Ausbauten auf bestehenden Strecken.
Fabi bringt einen höheren Stromverbrauch der Bahnen. Können die SBB trotzdem aus dem AKW-Strom
aussteigen?
Der Stromverbrauch steigt nur gering. Denn die grossen Stromfresser sind Höchstgeschwindigkeitsfahrten mit 160 bis 200 Stundenkilometern, der Energiebedarf steigt mit wachsender Geschwindigkeit exponentiell. Mit Fabi fahren die Züge aber vor allem häufiger, kaum schneller. Damit bleiben die SBB trotz Fabi im Fahrplan, bis 2025 vollständig auf erneuerbaren Strom umzusteigen.
Ist denn die geplante Pauschale für Elektroautos klug?
Ja, denn heute fährt ein Elektroauto fast gratis. Neben den Stromkosten sind in den Kantonen nur noch die Motorfahrzeugsteuern fällig. Für die Nutzung der Verkehrsinfrastruktur des Bundes zahlt man gar nichts. Diese indirekte Subventionierung geht auf Dauer nicht. Darum möchte der Bundesrat ab 2020 eine jährliche Pauschale von 500 Franken für Elektroautos einführen.
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