Der Staat als Komplize der Cyberkriminellen

15. Mai 2017

Mat­thi­as Schüs­s­ler, Ta­ges An­zei­ger

Mi­cro­soft gibt den Re­gie­run­gen ei­ne Mit­ver­ant­wor­tung am ver­hee­ren­den Aus­bruch des Er­press­er­wurms und for­dert ei­ne di­gi­ta­le Gen­fer Kon­ven­ti­on.

«Die Re­gie­run­gen die­ser Welt müs­sen be­grei­fen, dass Si­cher­heits­lü­cken in der di­gi­ta­len Welt ge­nau­so ge­fähr­lich sind wie Waf­fen in der rea­len Welt», schreibt Brad Smith. Er ist obers­ter Ju­rist bei Mi­cro­soft. Und man könn­te sei­nen fle­hent­li­chen Ap­pell an die Po­li­tik als Scha­dens­be­gren­zung und als bil­li­ges Ab­len­kungs­ma­nö­ver ab­tun – wenn Brad Smith nicht ab­so­lut recht hät­te.

Die­ser Com­pu­ter­wurm, der mal «Wan­na Crypt», mal «Wan­na Cry» ge­nannt wird, konn­te Spi­tä­ler, Pro­duk­ti­ons­li­ni­en, Lo­gis­tik- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­un­ter­neh­men lahm­le­gen, weil es zu ei­ner Kom­pli­zen­schaft zwi­schen ei­ner staat­li­chen Be­hör­de und dem or­ga­ni­sier­ten Ver­bre­chen ge­kom­men ist. Die­se Zu­sam­men­ar­beit war nicht ge­plant, aber sehr ef­fek­tiv. Hät­te die NSA die Si­cher­heits­lü­cke nicht für ei­ge­ne Zwe­cke zu­rück­ge­hal­ten, wä­re sie selbst in Or­ga­ni­sa­tio­nen, die es mit den Up­dates ih­rer Com­pu­ter nicht so ge­nau neh­men, längst ge­schlos­sen ge­we­sen. Doch Si­cher­heits­lü­cken eig­nen sich her­vor­ra­gend für die elek­tro­ni­sche Durch­su­chung (Staats­tro­ja­ner), für die Über­wa­chung und Auf­klä­rung. Und des­halb fin­den sich Si­cher­heits­be­hör­den in ei­nem selt­sa­men Di­lem­ma wie­der: Zum Schutz der Be­völ­ke­rung müss­ten sie al­les dar­an­set­zen, dass Si­cher­heits­lü­cken so­fort ge­schlos­sen wer­den. Doch für ih­re ei­ge­nen Zwe­cke ist es bes­ser, sie un­ter dem De­ckel zu hal­ten.

«Wie ge­stoh­le­ne Marsch­flug­kör­per»

«Es ist, als ob dem US-Mi­li­tär Marsch­flug­kör­per ge­stoh­len wor­den wä­ren», schreibt Smith zum ak­tu­el­len Fall. Der Ver­gleich trifft nicht so rich­tig. Es ist viel­mehr so, als ob der Staat ei­ne ma­ro­de Brü­cke nicht re­pa­rie­ren will – weil man sie leicht zum Ein­sturz brin­gen kann, falls Ter­ro­ris­ten dar­über fah­ren. Und nein, die­ser Ver­gleich ist nicht lä­cher­lich. Ab­surd fin­det man ihn nur, wenn man nicht ver­stan­den hat, dass die Si­cher­heit un­se­rer di­gi­ta­len In­fra­struk­tur fürs funk­tio­nie­ren­de Staats- und Wirt­schafts­we­sen ge­nau­so wich­tig ist wie in­tak­te Ver­kehrs­we­ge, zu­ver­läs­si­ge Strom­ver­sor­gung, sau­be­res Trink­was­ser und funk­tio­nie­ren­de me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung.

«Wan­na Crypt» ist ein Weck­ruf, ge­nau wie Brad Smith schreibt: Die staat­li­chen Ak­teu­re müs­sen be­grei­fen, dass sie ei­ner Il­lu­si­on er­le­gen sind. Sie wa­ren der Mei­nung, ge­währ­leis­ten zu kön­nen, dass Si­cher­heits­lü­cken nur für die gu­te Sei­te aus­ge­beu­tet wer­den. App­le hat die­ser Sicht­wei­se schon vor ei­nem Jahr ve­he­ment wi­der­spro­chen, als das FBI vom Kon­zern ver­langt hat­te, das iPho­ne ei­nes Ter­ror­ver­däch­ti­gen zu öff­nen: Durch Hin­ter­tü­ren drin­gen nicht nur wohl­mei­nen­de Er­mitt­ler ein, son­dern auch fin­di­ge Cy­ber­kri­mi­nel­le, ar­gu­men­tier­te Tim Cook da­mals. Und wenn es für die­se Aus­sa­ge noch ei­nen Be­weis ge­braucht hat, dann hat ihn «Wan­na Crypt» ge­lie­fert.

Der Zweck hei­ligt die Mit­tel nicht

Es ist un­mo­ra­lisch, wenn Ge­heim­diens­te ih­re ver­deck­ten Ope­ra­tio­nen mit Dro­gen­han­del fi­nan­zie­ren. Die Aus­beu­tung von Si­cher­heits­lü­cken ist nicht viel an­stän­di­ger, weil der Zweck die Mit­tel eben nicht hei­ligt, son­dern ei­nen un­ab­seh­bar gros­sen Kol­la­te­ral­scha­den be­wirkt. Mi­cro­soft hat ei­nen Ap­pell lan­ciert, den das Un­ter­neh­men «Di­gi­ta­le Gen­fer Kon­ven­ti­on» nennt: Schwach­stel­len nicht aus­zu­nut­zen, son­dern an die Her­stel­ler zu mel­den, ist ei­ne von sechs For­de­run­gen. Auch soll­ten we­der Tech-Un­ter­neh­men noch der pri­va­te Sek­tor oder In­fra­struk­tur an­ge­grif­fen wer­den. Und es gibt in An­leh­nung an den Atom­waf­fen­sperr­ver­trag auch die For­de­rung nach der Nicht­ver­brei­tung von Cy­ber­waf­fen.

Das ist ei­ne ver­nünf­ti­ge For­de­rung. Doch da­mit sie im ak­tu­el­len po­li­ti­schen Kli­ma Ge­hör fin­det, braucht es noch ei­nen Vor­fall, der um Po­ten­zen ver­hee­ren­der ist als «Wan­na Crypt».

Webauftritt gestaltet mit YAML (CSS Framework), Contao 3.5.27 (Content Management System) und PHPList (Newsletter Engine)

Copyright © 2006-2025 by grundrechte.ch