Ausschaffung mit der Zwangsspritze

11. Januar 2013

Von Mischa Aebi, Berner Zeitung

Letztes Jahr hat der Bund bei Zwangsausschaffungen drei Personen gegen deren Willen Beruhigungsmittel gespritzt. Bei der Ärztegesellschaft ist man über die Zwangsmedikation entsetzt.

169 Zwangsausschaffungen hat der Bund in den letzten acht Monaten durchgeführt. In drei Fällen wurde den Rückzuführenden gegen deren Willen Beruhigungsmittel gespritzt. Dies sagt Gaby Szöllösy, Sprecherin des Bundesamtes für Migration, auf Anfrage.

Die Medikamente wurden durch Ärzte der Oseara GmbH verabreicht. Die kleine Privatfirma ist im Rahmen eines Pilotprojekts provisorisch zuständig für die medizinische Betreuung bei Zwangsausschaffungen. Bei den sogenannten Level-IV-Ausschaffungen werden die Rückzuführenden mit Helm auf dem Kopf, Spuckschutz und an Händen und Beinen an einen Rollstuhl gefesselt in Sonderflügen in ihre Heimat zurücktransportiert.

Als Hilfsmittel illegal

Die Zwangsspritzen der Ärzte der Oseara GmbH entpuppen sich für das Bundesamt für Migration (BFM) nun als Problem. Im Gesetz für polizeiliche Zwangsmassnahmen steht klipp und klar: Gegen den Willen des Betroffenen dürfen Arzneimittel nur dann verabreicht werden, wenn eine «medizinische Indikation» vorliegt - also nur dann, wenn es für die Gesundheit des Betroffenen notwendig ist. Das Gesetz verbietet ausdrücklich, Arzneimittel als Hilfsmittel zur Durchsetzung des polizeilichen Zwangs einzusetzen.

Das Bundesamt für Migration nimmt die Ärzte der Oseara GmbH zwar in Schutz. Die Beruhigungsmittel seien nicht als Hilfsmittel zur Rückführung verabreicht worden, sondern zur Vermeidung von Selbst- oder Fremdgefährdung. In diesem Fall wäre Zwangsmedikation legal. Die BFM-Sprecherin räumt ein, dass man sich hier in einem Spannungsfeld befinde, das für alle Beteiligten eine Herausforderung sei. Aber: «Wenn wir keine Sonderflüge durchführen dürften, würde dies möglicherweise als Signal verstanden, dass ein abgelehnter Asylentscheid keine Folgen hat.»

Problematische Tranquilizer

Anders sehen dies allerdings die NKVF und ganz besonders die Ärztegesellschaft FMH. Die NKVF begleitet die Ausschaffungen als offizielle Beobachterin. Laut der Zeitung «le Temps» hat der NKVF-Präsident Jean-Pierre Restellini aufgrund der Vorfälle Alarm geschlagen. Er habe beim BFM-Direktor Mario Gattiker vorgesprochen und eine Sitzung verlangt. Diese habe am 10.Dezember stattgefunden, bestätigt Szöllösy.

NKVF-Präsident Restellini ist selber Arzt. Er hält fest: «Personen im Rahmen der Zwangsausschaffung gegen deren Willen Tranquilizer zu verabreichen, ist sehr problematisch.» Hier sei eine andere Lösung nötig.

Harsche Kritik der FMH

Noch deutlicher wird die FMH. Ex-Präsident Jacques de Haller ist heute FMH-Delegierter in einem Forum zu Zwangsrückschaffungen: «Für die FMH ist klar, niemandem darf ohne seine Einwilligung ein Medikament zugeführt werden.»

De Haller betont auch: «Ärzte haben keine polizeiliche Funktion. Wenn ein Rückzuschaffender in einem Flugzeug ausser Kontrolle gerate, sei das zwar ein Problem. Lösen müsse das aber die Polizei und nicht der Arzt. «Die kompromisslose Unterscheidung dieser beiden Rollen ist eminent wichtig.»

«Diese Problematik ist ein Grund, weshalb das BFM kaum Ärzte findet, die bereit sind, die Begleitung bei Zwangsausschaffungen zu übernehmen», sagt de Haller.

 

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