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Bern, 23. Juli 2008

Medienmitteilung

Eidgenössischer Datenschützer bestätigt widerrechtliche Fichierungen

Neue Fichenaffäre? grundrechte.ch fordert uneingeschränktes Einsichtsrecht

Zehn Jahre nach Einführung des Staatschutzgesetzes (BWIS) ist klar: Der Inlandgeheimdienst DAP (Dienst für Analyse und Prävention) fichiert wieder widerrechtlich politisch aktive Personen und Medien. Dies bestätigten die Antworten des eidgenössischen Datenschützers auf Einsichtsgesuche. grundrechte.ch fordert nun zusammen mit den Betroffenen ein vollständiges Einsichtsrecht in die Staatsschutz-Akten.

An einer Medienkonferenz stellte der mit den Einsichtsgesuchen betraute Anwalt Viktor Györffy heute den Medien drei bekannt gewordene Fichierungen durch den Inlandgeheimdienst DAP vor. Fichiert wurden der grüne Stadtzürcher Gemeinderat Balthasar Glättli, die Wochenzeitung WOZ und D. G., Inlandredaktor der WOZ

Bei allen drei Fällen ist bereits ohne die Einsicht in den vollen Text der Einträge klar: die Einträge in der Datenbank ISIS stehen im klaren Gegensatz zu den Schranken, die Artikel 3 des BWIS (Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit) formuliert.

Es wurden 10 Einsichtsgesuche gestellt (6 Organisationen und 4 Einzelpersonen). Anlass für die Einsichtsgesuche war die Verhaftung zweier Medienschaffender vor dem Büro bzw. Arbeitsort dieser Organisationen und Personen. Dies legte die Vermutung nahe, dass einzelne an dieser Adresse Gemeldete vom Staatsschutz observiert werden, zumal der Journalist der WOZ schon zu einem früheren Zeitpunkt in der Nähe des Büros vom betreffenden Staatsschutzbeamten angesprochen worden war. Daraufhin stellten alle Organisationen, die an der entsprechenden Adresse ihre Büros haben, und einige für diese Organisationen tätige Personen ein Einsichtsgesuch an den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB).

Ergebnis: 2 Einzelpersonen und 1 Organisation sind registriert, die übrigen nicht.

Registriert sind:

  • Der Grüne Gemeinderat Balthasar Glättli. Er stellte als Generalsekretär des an der entsprechenden Adresse domizilierten Vereins Solidarité sans frontières (sosf) ein Einsichtsgesuch. Es stellte sich heraus, dass er als Gesuchsteller für eine bewilligte, friedlich verlaufene Demonstration vom 2. April 2005 in Zürich registriert ist.

  • D. G., Inlandredaktor der WoZ. Bemerkenswert ist, dass die Verhaftung vom 19. Januar 2008, die Anlass für die Einsichtsgesuche war, im Staatsschutz-Computersystem ISIS nicht verzeichnet ist, sondern nur zurückliegende Ereignisse, wobei kein zureichender Grund für die Registrierung durch den Staatsschutz ersichtlich ist. Die Verhaftung verlief im Wesentlichen so, dass ein für den Staatsschutz tätiger Polizeibeamter des Kantons Bern D. G., nachdem dieser in Begleitung eines Journalisten vom „le Courrier“ sein Büro verlassen hatte namentlich ansprach und sagte, nun würde eine Personenkontrolle durchgeführt und die Festnahme durch uniformierte Polizeibeamte veranlasste. D. G. verbrachte daraufhin über 4 Stunden in polizeilichem Gewahrsam. Der Grund für die Festnahme ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Klar ist allerdings, dass der von der Polizei angegebene Grund nicht stichhaltig ist: Es sei darum gegangen, abzuklären, in welchem Zusammenhang D. G. mit der an diesem Tag stattfindenden Kundgebung stehe, d. h. welche Rolle er dabei spiele. Die Polizei unternahm jedoch absolut nichts, dass geeignet gewesen wäre, solche Abklärungen voranzubringen: D. G. wurde nicht befragt, und auch sonst tätigte die Polizei keinerlei Abklärungen in diese Richtung, weder vor, noch während oder nach der Inhaftierung. Der einzige Hinweis auf die Tätigkeit von D. G. an diesem Tag wurde ignoriert: Eine von ihm vorgewiesene Bestätigung der WoZ, dass er an diesem Tag mit einem journalistischen Auftrag für die WoZ tätig war. Effektiv war es auch so, dass D. G. nichts mit der Organisation der Demo o. ä. zu tun hatte, sondern ausschliesslich als Journalist unterwegs war.

  • Die WoZ ist vermerkt mit drei Zeitungsartikeln der WoZ, einer Antwort an eine ausländische Behörde, wonach die WoZ eine Zeitung sei und mit einem Hinweis auf Korrespondenz zwischen der WoZ und dem DAP.

Antwort des Datenschützers ist aussergewöhnlich

Dass der Datenschützer summarisch Auskunft über die Inhalte der Staatsschutzdaten gegeben hat, ist ein Durchbruch in der Staatsschutzproblematik. Ohne dieses Auskunftsrecht war die Situation für die Betroffenen bislang unerträglich: Sie konnten allenfalls vermuten, dass sie registriert sind, erfuhren aber nichts Konkretes darüber und konnten falsche Einträge nicht korrigieren. Die parlamentarische und administrative Kontrolle des Inlandgeheimdienstes (Dienst für Analyse und Prävention [DAP]) kann dieses Manko nicht beheben, einerseits wegen der schieren Zahl der Einträge (110'000) und andererseits, weil im Rahmen der Kontrolle nicht geklärt werden kann, ob die Einträge richtig sind oder nicht. Der Entscheid, den Betroffenen Auskunft über ihre Fichierung in den Staatsschutzakten zu geben, hat Signalwirkung für viele andere Fälle.

Da die Einträge im ISIS nicht im Volltext offen gelegt worden sind, bleiben aber Fragen offen. Die Betroffenen wollen nun alles daran setzen, volle Einsicht zu erhalten.

Wir gehen davon aus, dass nun auch die Basler Grossrätinnen und Grossräte bald Auskunft über die sie betreffenden Staatsschutzdaten erhalten werden. Diese sind in den Radar des Staatsschutzes geraten, weil eine in Deutschland erscheinende Zeitung, die der PKK nahe stehen soll, über ihre Wahl in den Grossen Rat berichtet hatte. Auch in diesen Fällen erscheint offensichtlich, dass vom DAP widerrechtlich personenbezogene Daten im Zusammenhang mit der Ausübung politischer Rechte gesammelt worden sind. Die betroffenen Grossrätinnen und Grossräte haben vor kurzem ebenfalls Einsichtsgesuche gestellt, die noch hängig sind.

Forderungen: Keine Löschungen und volles Einsichtsrecht

grundrechte.ch stellt aufgrund dieser Erkenntnisse folgende Forderungen:

  • der Bundesrat muss sicher stellen, dass der DAP keine Akten vernichtet

  • Es muss sofort vollständige und unzensurierte Dossiereinsicht in die Datenbank ISIS gewährt werden

  • Eine durch Fachpersonen verstärkte parlamentarische Kontrollkommission muss umgehend Einsicht in alle vorhandenen, vermutlich rund 110'000 Fichen und die damit verbundenen Dossiers nehmen und die Öffentlichkeit darüber informieren

  • Nach Gewährung der Akteneinsicht und des Rechts auf Berichtigung müssen die Daten dem Bundesarchiv – ohne Zugriffsrecht des DAP – übergeben werden.

  • Die vom Bundesrat eingeleitete und von der Rechtskommission des Nationalrates zurückgewiesene Verschärfung des Staatsschutzgesetzes muss umgehend gestoppt werden. Eine Revision muss zwingend das direkte Einsichtsrecht wieder herstellen

  • Zudem sollen Bundesrat und DAP künftig einen jährlichen Bericht über die Aktivitäten des DAP, Anzahl der Fichen nach Kategorien etc. Veröffentlichen.

Zitate aus der Medienkonferenz

Ruth Wysseier, WOZ: „Der Staatschutz hat offenbar drei Texte von qualifizierten Journalisten fichiert. Die WOZ will nun wissen, ob nicht nur die Texte, sondern auch die Autoren in der Datenbank des Staatsschutzes fichiert sind.“

Ruth Wysseier, WOZ: „Die kritische Berichterstattung über Bereiche, wo Grundrechte tangiert werden (Asyl-/Ausländerrecht, Demonstrationen, Fussballfans) ist eine wichtige Arbeit der WOZ. Dabei ist es zentral, dass die elementaren Grundrechte der Medienschaffenden gewahrt werden und eine authentische Berichterstattung vor Ort möglich ist, ohne dass die JournalistInnen damit rechnen müssen, fichiert oder von Polizei und Staatschutz eingeschüchtert und behindert zu werden.“

Balthasar Glättli, Gemeinderat Grüne, Zürich: „Mein Vertrauen in den Rechtsstaat ist erschüttert. Ein Staat, in dem die Polizei die Ausübung demokratischer Rechte an den Staatsschutz rapportiert und in dem daraus eine Fichierung resultiert, ist ein Schnüffelstaat. Nur die Gewährung des vollen Einsichtsrechts für alle könnte dieses Vertrauen wieder herstellen. Dies muss nicht nur auf der Bundesebene passieren, sondern auch auf kantonaler und kommunaler Ebene.“

Viktor Györffy, Rechtsanwalt, Präsident grundrechte.ch: „Aufgrund der erteilten Auskunft wissen wir, dass sich der Staatsschutz nicht ans geltende Gesetz hält. Es wurden personenbezogene Daten gespeichert, die nicht hätten gespeichert werden dürfen. Aus der Art der Einträge wird deutlich, dass es sich hier nicht um Einzelfälle handeln kann. Die Fälle zeigen vielmehr dass der DAP systematisch politische Aktivitäten überwacht, was widerrechtlich ist.“

Viktor Györffy, Rechtsanwalt, Präsident grundrechte.ch: „Die uns bekannten Fälle zeigen auch, was für gravierende Auswirkungen die Tätigkeit des Staatschutzes haben kann.“ Für weitere Informationen: Viktor Györffy 044 240 20 55 / 044 240 20 56

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