Von Friederike Haupt
Wer Facebook nutzt, schenkt dem Unternehmen hinter dem sozialen Netzwerk viele private Informationen über sich. Und wer es nicht nutzt, behält seine Informationen für sich - könnte man meinen. Dass die Realität inzwischen anders aussieht, belegen immer mehr Erfahrungsberichte von Nichtmitgliedern, die sich von Facebook seltsam durchleuchtet fühlen.
Eine dieser Geschichten geht so: Ein Facebook-Nutzer lädt seinen dort nicht registrierten Kollegen per Facebook-Mail ein, auch Mitglied zu werden. Dieser übersieht die Nachricht, Monate vergehen. Dann erhält der Kollege ohne Zutun des Facebook-Nutzers eine neue Einladung: Und darin „gab es auch einen Abschnitt mit der Überschrift ,Weitere Personen auf Facebook, die du vielleicht kennst‘ - und die hatte es in sich“, schreibt der Eingeladene auf der Computerseite tweakpc.de. Tatsächlich kannte er beide vorgeschlagenen Personen: Die eine sei ein Bekannter, der in derselben Strasse wie er wohne und mit dem er im Internet noch nie Nachrichten ausgetauscht habe. Die zweite Person kenne er aus einem Verein: „Verbindungen über soziale Netzwerke gibt es nicht. Sie wohnt auch nicht einmal in der gleichen Stadt wie ich, auch nicht in der des Einladenden. Es wurden lediglich ein paar Mails ausgetauscht.“ Der Blogger hörte sich im Freundeskreis um: Gab es ähnliche Erfahrungen? Ein Bekannter meldete sich, der ebenfalls nicht bei Facebook registriert war und eine Einladung dorthin erhalten hatte: „Bei ihm wurde nur eine Person angegeben, aber auch hier staunt man nicht schlecht. Wieder lag Facebook richtig, denn die beiden kennen sich, weil der eine dem anderen mal über eBay-Kleinanzeigen eine Deckenlampe abgekauft hat.“ In vielen dieser Fälle kennt selbst die Person, die die Einladung verschickte, die dem Freund vorgeschlagenen Kontakte nicht.
Wie kann Facebook mehr von einem Nichtnutzer kennen als die E-Mail-Adresse, die ein Bekannter in die Einladung geschrieben hat? Die Antwort lautet: Das Netzwerk profitiert davon, dass seine Nutzer ihre Geräte, Netzwerk-Profile und Betriebssysteme flächendeckend verzahnen wollen. Dabei hilft beispielsweise eine beliebte Applikation namens „FriendSync“, die die auf dem iPhone gespeicherten Kontakte einer Person mit seiner Facebook-Freundesliste synchronisiert. Fotos, Vor- und Nachnamen sowie Geburtstage werden abgeglichen - und zu Facebook übertragen, egal, ob die in der Handyliste vermerkten Personen dort registriert sind oder nicht. So weiss man als Facebook-Verweigerer nicht, welche Bekannten auf diese Weise schon die eigenen Daten in das Netzwerk geladen haben. Ausserdem können Mitglieder auf Fotos, die sie in Facebook-Alben verwalten, Personen mit vollem Namen markieren, die gar nicht angemeldet sind und somit nichts davon merken.
Auch bietet Facebook seinen Nutzern an, deren Gmail- und MSN-Accounts nach Kontakten zu durchforsten, die - wenn sie dort registriert sind - als Kontakt hinzugefügt, anderenfalls eingeladen werden. In seinen AGBs weist das Unternehmen sogar darauf hin, dass es Daten von Nichtmitgliedern sammelt. Erst anschliessend wird überhaupt die Möglichkeit erwähnt, das rückgängig zu machen: „Wenn deine Freundin/dein Freund nicht möchte, dass wir ihre/seine Informationen speichern, werden wir sie auf ihren/seinen Antrag hin, der mit Hilfe dieser Hilfe-Seite eingereicht wurde, entfernen.“ Es wird auf ein Formular verwiesen, in dem man anklicken kann: „Ich habe KEIN Facebook-Konto und möchte nicht, dass Facebook meine Informationen weiterhin speichert.“ Doch wer nicht zu Facebook will, die Einladung des Freundes vielleicht löscht, stösst erst gar nicht auf diesen versteckten Hinweis.
Facebook ist nicht das einzige Unternehmen, das so vorgeht. Auch beim Messenger ICQ etwa wird unter der Überschrift „Finde Freunde!“ angeboten, Kontakte von Facebook, web.de, GMX, Windows Live, Yahoo und Gmail zu importieren. Dafür muss der Nutzer neben seiner Adresse bei dem jeweiligen Dienst auch sein Passwort eingeben. Wer mit ein und derselben Mail-Adresse, die vielleicht sogar den eigenen Namen beinhaltet, in verschiedenen Netzwerken angemeldet ist, schickt seine Daten so auf eine Reise, deren Verlauf schon nach kurzer Zeit nicht mehr nachzuverfolgen ist. Werden dann noch Angaben zum Wohnort und vielleicht - über die Mail-Adresse - zum Arbeitgeber einer solchen Person von jemand anderem bei Facebook archiviert, lässt sich einiges über sie herausfinden. Hendrik Speck, Professor für Digitale Medien an der FH Kaiserslautern, findet das sehr problematisch, aber ganz und gar nicht überraschend. „Facebook hat sich darauf spezialisiert, solche Verknüpfungen auszuwerten“, sagt er. Dabei mache es sich die Naivität und Faulheit derjenigen zunutze, die nur die Vorteile allumfassender Synchronisierung sähen. Gerade die „weichen Faktoren“, über die sich die Menschen definierten - wie Vorlieben und Kontakte -, seien für Facebook bares Geld wert und würden mit Hilfe von Algorithmen eingesammelt, „egal, ob der Betroffene seine Einwilligung gibt oder nicht“. Daraus macht Facebook-Gründer Mark Zuckerberg kein Geheimnis: Erst im Januar sagte er in einem Interview, Privatsphäre sei nicht mehr zeitgemäss. Mit deutschen Datenschutzgesetzen kann man dem kaum beikommen - für das amerikanische Unternehmen Facebook gelten sie nicht.
Davon, dass es auch Daten von Nichtmitgliedern sammelt und mit Hilfe seiner Suchmaschinen in Verbindung zueinander bringt, profitiert Facebook auf zweierlei Weise: Zum einen melden sich mehr neue Mitglieder an, wenn sie möglichst personalisiert und mit interessanten Freundschaftsvorschlägen dazu aufgefordert werden. Zum anderen kann Facebook so noch mehr über die schon angemeldeten Personen erfahren, über ihre Interessen, Verbindungen, Bekanntschaften und Wünsche. Dass es die Daten der Nichtmitglieder nicht nur sammelt, sondern auch nutzt, erschreckt diese am meisten. Wie einträglich so etwas ist, zeigt der „Netflix Prize“. Eine Million Dollar bot im Jahr 2006 der amerikanische DVD-Verleiher Netflix demjenigen, der den Algorithmus verbesserte, mit dem Voraussagen über die Vorlieben seiner Kunden getroffen werden, nach dem Prinzip: „Wem dieser Film gefallen hat, dem könnten auch folgende Filme gefallen“. Erst im vergangenen Jahr wurde der Preis verliehen: an ein Team von Programmierern, das den Algorithmus um 10,06 Prozent treffsicherer gemacht hatte. Die Million war das Netflix wert.
Aus Sicht der Firmen, die bei Facebook werben, ist die genaue Kenntnis des Kunden sehr nützlich. Durch den direkten Kontakt im Netzwerk ergebe sich eine „Feedbackschleife, die sehr effektive Marktforschung ist“, sagt Nico Lumma, Fachmann für soziale Netzwerke bei der Werbeagentur Scholz & Friends. Doch auch ihm macht Sorgen, dass Facebook sogar Nichtmitglieder kennt: „Wenn man sein Adressbuch vom Handy mit Facebook synchronisiert, geht man nicht davon aus, dass die Daten von Facebook genutzt werden. Man vertraut seinen sozialen Netzwerken.“ Dieses Grundvertrauen, darin sind sich Werber Lumma und Forscher Speck einig, ist kaum mehr angebracht. Lumma hofft auf eine Debatte zum Datenschutz in Deutschland, in der die „User-Perspektive“ in den Vordergrund gerückt werde. „Ausserdem muss man den Usern klarmachen, was es für Privacy-Optionen gibt.“ Doch auch Facebook täte gut daran, sich dem deutschen Markt und seinen Vorstellungen von Datenschutz anzupassen: „Werbekunden ist es ja auch nicht egal, in welchem Umfeld sie werben.“ Seinen eigenen Telefonspeicher will Lumma nicht mit Facebook verbinden: „Ich habe ein generelles Misstrauen vor jeglicher Sync-Aktion.“ Hendrik Speck ist pessimistischer: „Die Büchse der Pandora wieder schliessen zu wollen ist illusorisch.“ Er sieht die neuen Technologien, die auch Facebook nutzt, und die Gesellschaft in einer Übergangsphase. Was am Ende stehe, hänge stark vom Bewusstsein der Menschen für die Folgen der Veränderungen ab. Die Frage laute: „Wie viele Katastrophen brauchen wir für die nächste Evolution?“
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