Gerichtliche Zuständigkeit und Verfassungsmässigkeit
§ 87 Abs. 1 KV verlangt die Regelung der Zuständigkeit der Gerichte umfassend in einem formellen Gesetz
Sachverhalt
Am 11. September 2008 hat der Landrat mit dem Dekret zum Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit die Zuständigkeit zur Überprüfung des Polizeigewahrsams gemäss BWIS dem Präsidium der Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht des Kantonsgerichts zugewiesen.
Erwägungen
(….)
2. Gestützt auf § 30 Abs. 2 VPO kann das Verfassungsgericht den angefochtenen Erlass nur auf seine Verfassungsmässigkeit hin prüfen. Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle ist es nicht befugt, den angefochtenen Erlass auf seine Übereinstimmung mit Normen unterhalb der Verfassungsstufe zu prüfen. Es kann einen Erlass nur aufheben, wenn und soweit er Bestimmungen enthält, die inhaltlich gegen verfassungsmässige Rechte verstossen und ordnungsgemäss mit entsprechenden Rügen angefochten worden sind.
3. Der Beschwerdeführer 2 bringt vor, dass der Landrat die richterliche Überprüfung des Polizeigewahrsams zwingend auf Gesetzesstufe regeln müsse.
3.1 Gemäss Art. 24e Abs. 1 des Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) vom 11. September 2008 kann gegen eine Person der Polizeigewahrsam verfügt werden, wenn konkrete und aktuelle Hinweise dafür vorliegen, dass sie sich anlässlich einer nationalen oder internationalen Sportveranstaltung an schwerwiegenden Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen beteiligen wird (lit. a) und wenn dies die einzige Möglichkeit ist, sie an Gewalttätigkeiten zu hindern (lit. b). Die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs ist auf Antrag der betroffenen Person richterlich zu überprüfen (Art. 24e Abs. 5). Das Dekret zum Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (Dekret BWIS) vom 11. September 2008 hält fest, dass für die richterliche Überprüfung der Rechtmässigkeit des Polizeigewahrsams gemäss Artikel 24e Absatz 5 BWIS sowie Artikel 21g Absatz 4 VWIS das Präsidium der Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht des Kantonsgerichts zuständig ist.
3.2 Gemäss Art. 30 Abs. 1 BV hat jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Die Bundesverfassung schreibt damit die Garantie des gesetzlichen Richters fest. Der Bürger besitzt einen individuellen Anspruch darauf, dass die Gerichtsorganisation und die Richterbestellung durch allgemeinverbindliche Rechtssätze, das heisst generell-abstrakt, determiniert werden (René Rhinow/Heinrich Koller/Christina Kiss, a.a.O., N 142 f.). Art 30 Abs. 1 BV verlangt, dass die Grundzüge der Zuständigkeiten, Kompetenzen und der Organisation eines Gerichts in einem formellen Gesetz generell-abstrakt normiert werden (Jörg Paul Müller/Markus Schefer, Grundrechte in der Schweiz, Bern 2008, 4. Auflage, S. 933).
3.3 § 87 Abs. 1 KV verlangt ebenfalls, dass die Grundzüge der Organisation sowie Zuständigkeit und Verfahren der kantonalen Gerichte durch das Gesetz geregelt werden. Mit dieser Verfassungsbestimmung wird die allgemeine Norm von § 63 Abs. 1 KV konkretisiert, wonach der Landrat „...alle grundlegenden und wichtigen Bestimmungen in der Form des Gesetzes..." erlassen muss. Die Kantonsverfassung bestimmt damit den Anspruch auf den verfassungsmässigen Richter auch dahingehend, dass die diesbezüglichen Bestimmungen weitgehend in einem Gesetz im formellen Sinne enthalten sein müssen.
3.4 § 87 Abs. 1 KV verlangte noch vor der Teilrevision vom 22. Februar 2002, welche am 1. April 2002 in Kraft trat, eine umfassende Regelung von Organisation, Zuständigkeit und Verfahren der Gerichte auf Gesetzesstufe (vgl. Urteil des Verfassungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 21. Juni 2000 [99/331, Nr. 139]). Um auf Veränderungen rascher zu reagieren können, hatte die vorberatende Justiz- und Polizeikommission des Landrates anlässlich der Revision des Gesetzes betreffend die Organisation der richterlichen Behörden entschieden, die Organisation des Kantonsgerichts statt auf Gesetzesstufe in einem neuen Dekret über die Organisation der Gerichte und Strafverfolgungsbehörden festzulegen. Das Gerichtsorganisationsgesetz legt deshalb lediglich den Grundsatz der Organisation in Abteilungen und deren Gliederung in Kammern und Präsidien fest, während das Dekret die Abteilungen aufführt. Analog zur Bestimmung über die Regelung der Verwaltungsorganisation sollten inskünftig nur noch die Grundzüge der Organisation einer formell gesetzlichen Regelung bedürfen (Bericht der Justiz- und Polizeikommission an den Landrat betreffend Weiterführung der Gerichtsreform [Revision des Gesetzes betreffend die Organisation der richterlichen Behörden und Änderung der Kantonsverfassung] vom 10. Januar 2001). Die historische Auslegung von § 87 Abs. 1 KV ergibt somit, dass die Kantonsverfassung auch nach der Teilrevision vom 21. Juni 2000 eine umfassende Regelung der Zuständigkeit der Gerichte in einem formellen Gesetz verlangt.
4. Beim angefochtenen Erlass des Landrats handelt es sich um ein Dekret. Gemäss § 63 Abs. 3 KV unterliegen Dekrete des Landrats nicht der Volksabstimmung. Dekrete sind daher als Verordnungen und nicht als Gesetz in formellem Sinn zu qualifizieren. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen steht damit fest, dass die Form des Dekrets den Anforderungen, welche durch die Kantonsverfassung im Rahmen des Anspruchs auf den verfassungsmässigen Richter an die Erlassform solcher Bestimmungen gestellt werden, nicht zu genügen vermag. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dies führt zur Aufhebung des Dekretes zum Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (Dekret BWIS) vom 11. September 2008. Der Beschwerdeführer 2 macht im Weiteren eine Verletzung des Anspruchs auf unverzügliche Überprüfung eines Freiheitsentzugs nach Art. 31 BV und Art. 5 EMRK geltend. Da die Beschwerde bereits aus anderem Grund gutzuheissen und das angefochtene Dekret aufzuheben ist, kann offen gelassen werden, ob weitere verfassungsmässige Rechte verletzt sind.
KGE VV vom 27. Mai 2009 (810 08 345/GRM)
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