Aktivisten wollen Geheimdienst stoppen - Sicherheitspolitiker sind empört

31. August 2017

Dennis Bühler, Nordwestschweiz

Die Digitale Gesellschaft wehrt sich gegen die umfassende Überwachung des Datenverkehrs im Internet und will den Kampf für die Privatsphäre notfalls bis nach Strassburg führen.

Vor gut elf Monaten sagten zwei Drittel der Abstimmenden Ja zum neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG), morgen Freitag tritt es in Kraft. Ab dann ist die sogenannte Kabelaufklärung erlaubt: Swisscom, UPC Cablecom und andere Telekom-Unternehmen müssen den grenzüberschreitenden Datenverkehr im Internet dem Schweizer Geheimdienst für die Überwachung zur Verfügung stellen. Dieser durchsucht den Datenstrom nach definierten Stichworten. Weil die meiste Internetkommunikation der Schweizer Bevölkerung über ausländische Server und Netzwerke führt, sind alle Bürger von dieser Überwachung betroffen.

Die Digitale Gesellschaft, die sich schon im Abstimmungskampf gegen das NDG aussprach, will sich das nicht bieten lassen. Wie die «Nordwestschweiz» erfahren hat, erhebt sie heute Beschwerde gegen die Kabelaufklärung und die bereits bestehende Satelliten- und Funkaufklärung: Sieben Beschwerdeführer stellen das Gesuch an den Nachrichtendienst des Bundes (NDB), diese Instrumente nicht anzuwenden. Darunter sind Journalisten und Netzaktivisten, aber auch Marcel Bosonnet, der Schweizer Anwalt des US-amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden.

Instrument gegen Terrorgefahr

Falls der Geheimdienst ihr Begehren wie erwartet ablehnt, wird der Rechtsweg beschritten - «notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg», wie der federführende Anwalt Viktor Györffy sagt. Vorgelagert werden das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen und gegebenenfalls das Bundesgericht in Lausanne überprüfen müssen, ob die Funk- und Kabelaufklärung mit dem in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verbrieften Recht auf Privatsphäre konform ist.

Sicherheitspolitiker können die Bedenken der Netzaktivisten nicht nachvollziehen. «Wie man trotz der gegen die freie Gesellschaft gerichteten Terrorangriffe, die wir fast überall in Europa miterlebt haben, den Stellenwert der Kabelaufklärung infrage stellen kann, ist mir schleierhaft», sagt der Urner CVP-Ständerat Isidor Baumann, der die Sicherheitspolitische Kommission (SIK) seiner Kammer präsidiert. Ins gleiche Horn stösst die Aargauer FDP-Politikerin Corina Eichenberger, Präsidentin der nationalrätlichen SIK: Die Beschwerde, die zu einem sehr späten Zeitpunkt komme, lasse ausser Acht, dass die Verordnung «in keinem Punkt» über das vom Stimmvolk beschlossene Gesetz hinausgehe. «Ebenso blendet sie aus, dass das Bundesverwaltungsgericht angehalten ist, Bewilligungen für die Kabelaufklärung zurückhaltend auszusprechen, die Daten von kompetenten und zuverlässigen Mitarbeitern des Nachrichtendienstes gefiltert werden und eine strenge Nachüberprüfung durch das Gericht jederzeit möglich ist.»

Verletzung der Privatsphäre?

Györffy widerspricht: Immer stärker zu überwachen, könne nicht die Antwort auf die Terrorgefahr sein - «sonst verschwinden die Menschenrechte bald ganz». Ohnehin sei die Wirksamkeit der Funk- und Kabelaufklärung umstritten. Das sieht auch Martin Steiger von der Digitalen Gesellschaft so: Europaweit verschleierten die Behörden, dass die Suche nach potenziellen Straftätern mit der Funk- und Kabelaufklärung zur sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen werde. «Mit der Kabelaufklärung ist jeder verdächtig, sobald er das Internet nutzt oder telefoniert», sagt er. Eine solch anlasslose Massenüberwachung verletze das Grundrecht auf Privatsphäre, die Unschuldsvermutung und das Verhältnismässigkeitsprinzip. Steiger und Györffy sind sich sicher: «Spätestens in Strassburg werden wir in einigen Jahren recht erhalten.»

 

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