Britische Spione lesen Schweizer E-Mails

26. Juni 2013

Der britische Geheimdienst greift auf schweizerische Internetkommunikation zu. Über Kabelnetze kann er auch Telefongespräche abhören.

Thomas Knellwolf, Tages-Anzeiger

Die vereinigten Telecomfirmen Europas und Amerikas frohlockten, als sie 2001 eine neue Datenautobahn auf dem Grund des Atlantiks in Betrieb nehmen konnten. TAT-14 tauften sie das damals «leistungsfähigste Seekabelsystem, das Europa mit den USA verbindet». Zwei- bis viermal schneller als die Vorgänger war das fünf Zentimeter dicke Kabel aus acht Glasfasern.

Der britische Geheimdienst dürfte sich an der technologischen Grosstat mitgefreut haben. Auf dem Weg vom Alten zum Neuen Kontinent legt das Transatlantic Telephone Cable Number 14 an der englischen Südküste an. Beim malerischen Küstendörfchen Bude mit Rosamunde-Pilcher-Charme geschieht seither vermutlich etwas, was sich Überwachungsapokalyptiker George Orwell ausgedacht haben könnte. Hier späht der Nachrichtendienst Government Communications Headquarters (GCHQ) laut der «Süddeutschen Zeitung» TAT-14 aus. Der ehemalige US-Geheimdienstangestellte Edward Snowden hatte vergangene Woche das britische Überwachungsprogramm «Tempora» enthüllt, mit dem sich GCHQ heimlich Zugang zu Glasfaserkabeln weltweit verschafft haben soll. Snowden machte auch publik, dass abgefangene Inhalte drei Tage lang gespeichert bleiben und Benutzerdaten 30 Tage. Genügend Zeit, um die Daten mit Spezialprogrammen zu filtern.

Zufällige Routen der Daten

Rund ein Dutzend Hochleistungskabel verbinden Europa mit den USA. Etwa ein Drittel davon macht einen Abstecher an die britische Küste. TAT-14, an dessen Bau die Swisscom beteiligt war, war einst das technische Nonplusultra. Heute gehört das Kabel von 15 000 Kilometer Länge zu den alten Eisen. Nach wie vor laufen aber Massen an Gigabytes täglich über TAT-14. Betroffen vom Grossen Lauschangriff der Briten sind auch Schweizer Telefongespräche in die USA, E-Mails über US-Server oder beispielsweise Aktivitäten in sozialen Netzwerken wie Facebook.

Nicht nur solche über die Swisscom, sondern potenziell alle Gesprächs- und Internetdaten, die von den Knotenpunkten Zürich und Genf Hochgeschwindigkeitsreisen Richtung Norden und Westen und dann weiter antreten. Die genauen Routen sind mehr oder weniger zufällig, die Hauptrichtung ist identisch: Via Frankfurt oder Paris gelangen digitale Informationen in die Nordsee oder den Atlantik.

Der Swisscom liegen «keine Informationen über allfällige unbefugte Zugriffe auf das TAT-14-Netzwerk» vor. Das Unternehmen liefere laut Sprecher Carsten Roetz «grundsätzlich keine Informationen an ausländische Behörden».

Problem: Zerstückelte Daten

Einen gewissen Schutz vor dem Anzapfen bieten neue Technologien. Datenpakete oder Gespräche werden zerstückelt und in Minieinheiten über verschiedene Atlantikkabel geschickt. Wer nur einzelne Kabel angezapft hat, kann vieles nicht rekonstruieren.

Die Swisscom war bis 2005 direkt an TAT-14 beteiligt, heute ist sie es noch indirekt. Das Schweizer Telecomunternehmen besitzt 22,4 Prozent an der belgischen Bics, die wiederum in unbekannter Höhe an TAT-14 Anteil hat.

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) wollte sich nicht zu den neuesten Enthüllungen äussern. Im jüngsten Lagebericht warnt er vor «immer mehr hoch entwickelten elektronischen Mitteln der Cyberspionage». «Es gehört zum Grundauftrag des NDB», sagt Sprecher Simon Johner, «solche Aktivitäten abzuwehren, sobald sie die innere oder äussere Sicherheit des Landes gefährden könnten.»

Bics war gestern nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Beim technischen Dienst in Belgien landete auch, wer die Schweizer Firmennummer wählte. Die Berner Bics-Adresse lautet übrigens auf die gleiche Strasse, an welche der Nachrichtendienst des Bundes seinen Sitz hat.

 

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