Der umstrittene Kauf der Berner Polizei

21. Oktober 2015

Der Bund

Um Mobiltelefone besser überwachen zu können, will die Berner Kantonspolizei ein neues Überwachungsgerät anschaffen. Die Technik ist umstritten - und im Kanton Bern bereits im Einsatz.

Die bernische Kantonspolizei will in neue Überwachungstechnik investieren. Mit dem 750,000 Franken teuren «Imsi-Catcher» will sie verstärkt Mobiltelefone überwachen. Doch der Einsatz der Geräte ist umstritten. Derart, dass der Bundesrat für den Export von in der Schweiz hergestellten Geräten Exportbeschränkungen eingeführt hat. Er befürchtet, dass die Käufer mit den Geräten Informationen sammeln, die zu staatlichen Repressionen führen könnten.

In der Schweiz selbst kommen Imsi-Catcher seit einigen Jahren zum Einsatz: Die Bundeskriminalpolizei wie auch die Kantonspolizei Zürich haben solche Geräte vor einigen Jahren angeschafft. Die Berner Kantonspolizei selbst besitzt bisher zwar keinen Imsi-Catcher. Doch setzt sie bereits jetzt solche anderer Polizeikorps ein, wie Recherchen des «Bund» zeigen. Dies offenbar derart regelmässig, dass man nun ein eigenes Gerät beschaffen will.

Wortkarge Polizei

In Deutschland sorgte der Einsatz von Imsi-Catchern im Rahmen von politischen Kundgebungen für Schlagzeilen. Wofür setzt die Berner Kantonspolizei die Geräte ein? Man benutze die Geräte im Rahmen von «Ermittlungen im Bereich der Schwerstkriminalität und bei Such- und Rettungsaktionen», teilt Alice Späh, Mediensprecherin der Kantonspolizei, auf Anfrage mit. Präzisere Angaben will die Polizei nicht machen. Zum Einsatz kämen die Geräte im Auftrag der Staatsanwaltschaft und gestützt auf die Schweizerische Strafprozessordnung.

Letztere erlaubt eine Überwachung des Fernmeldeverkehrs. Ob dies auch für die Imsi-Catcher gilt, ist umstritten. Grundsätzlich sind Überwachungen unter der Bedingung des dringenden Tatverdachts und der Verhältnismässigkeit möglich. Auch müssen alle anderen Ermittlungsmethoden bereits ausgeschöpft sein. Die Anwendung ist zudem nur im Kontext bestimmter Straftaten zulässig. Etwa bei Mord oder Vermögensdelikten - aber auch bei weniger schwerwiegende Tatbeständen wie Drohung gegen Beamte oder wenn der öffentliche Verkehr gestört wird - Vorfälle also, wie sie auch im Rahmen von Demonstrationen durchaus vorkommen können. Seitens der Kantonspolizei heisst es dazu, das Gerät werde im Rahmen von sicherheitspolizeilichen Massnahmen einzig für die Überwachung von konkreten, einzelnen Mobilgeräten verwendet.

Den Datenschützer übergangen

Sammelte die Polizei Daten von Personen, gegen die kein Strafverfahren hängig ist, würde die Polizei die Bestimmungen des kantonalen Datenschutzgesetzes verletzen, sagt der bernische Datenschützer Markus Siegenthaler. «Geräte, mit denen heikle Personendaten einer grösseren Anzahl von Personen elektronisch bearbeitet werden, müssen unserer Stelle zur Prüfung vorgelegt werden.» Imsi-Catcher könnten in diese Kategorie fallen, sagt Siegenthaler. Pikant: Der kantonale Datenschützer hatte bisher keine Kenntnis davon, dass die Geräte längst zur Anwendung kommen. Sollte ihm die Kantonspolizei das neue Gerät dereinst nicht zur Begutachtung vorlegen, will Siegenthaler aktiv werden. Sollte Siegenthaler das Gerät nach einem allfälligen Kauf beanstanden, müsste das teuer erstandene Gerät in der Kaserne bleiben. Vorerst zumindest.

Parlament für Verschärfung

Schon bald könnten die kantonalen Datenschutzbestimmungen im Bereich der Fernmeldeüberwachung ihre Wirkung verlieren. Die eidgenössische Parlament revidiert derzeit das Bundesgesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf). Das Parlament sieht einen Ausbau der Überwachungsmöglichkeiten vor. Das revidierte Büpf wird zudem eine schweizweit einheitliche Regelung im Bereich der Imsi-Catcher schaffen. «Dann könnten alle Polizeikorps diese Geräte innerhalb der Schranken des Strafprozessrechts einsetzen», sagt Francis Meier, Sprecher des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten. Ein überparteiliches Komitee hat angekündigt, das Referendum gegen das revidierte Büpf zu ergreifen. Kommt dieses zustande, hat das Stimmvolk das letzte Wort.

Auch ist noch nicht gänzlich klar, ob die Berner Kantonspolizei das gewünschte Gerät erhält. Der 750,000-Franken-Kredit für die Anschaffung muss erst noch vom Regierungsrat genehmigt werden. Gemäss der Polizeidirektion ist noch in diesem Jahr mit einem Entscheid zu rechnen.

Imsi-Catcher

So funktioniert er

Imsi-Catcher sind hoch technische Geräte, die im Umkreis von 100 bis 300 Meter alle Mobiltelefone erkennen. Das koffergrosse Gerät identifiziert die Telefone anhand ihrer Internationalen Mobilfunk-Teilnehmerkennung (englische Abkürzung Imsi). Der Imsi-Catcher (to catch: englisch für einfangen) gaukelt den sich im Umkreis befindenden Mobiltelefonen vor, eine Mobilfunkantenne des Telefonanbieters zu sein. So erhält er Zugriff auf die Daten. Je nach Ausstattung des Geräts ist es möglich, Gespräche abzuhören. Ob dies auch die Berner Geräte können, ist unklar: Die Kantonspolizei macht keine Angaben zur geplanten Anschaffung. Alle Imsi-Catcher können zudem die gesamte Telekommunikation im Umfeld unterdrücken. Dies ist ein weiteres mögliches Anwendungsgebiet - etwa um die Fernauslösung einer Bombe zu verhindern oder die Kommunikation unter Demonstranten einzuschränken. (bwg)

Gesetzliche Grundlage

Rechtswidrige Anwendung?

Die aktuelle Version des Bundesgesetzes zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) enthält keine Bestimmungen zum Einsatz von sogenannten Imsi-Catchern. Deren derzeitiger Einsatz erfolgt deshalb gestützt auf die Eidgenössische Strafprozessordnung. Kritiker zweifeln deshalb an der Rechtmässigkeit der derzeitigen Verwendung der Geräte.

Einer von ihnen ist Viktor Györffy. Der Zürcher Anwalt engagiert sich als Präsident des Vereins grundrechte.ch gegen staatliche Überwachung. «Die Bestimmungen in der Strafprozessordnung sind zu wenig konkret», sagt er. Wenn die Berner Staatsanwaltschaft den Einsatz von Imsi-Catchern erlaube, sei dies widerrechtlich. «Die Bewilligungen sind falsch.» Anderer Meinung ist der frisch gewählte Zürcher SP-Ständerat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch, der sich als Nationalrat für einen Ausbau der Überwachungsmöglichkeiten einsetzt: «Die aktuellen rechtlichen Bestimmungen reichen aus.» Es ist eine Einschätzung, welche auch die Staatsanwaltschaften teilen.

 

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