Factsheet zur NDG Revision 2022

30. Juni 2022

Factsheet zur NDG Revision 2022

Factsheet der AG Sicherheit der NGO Plattform Menschenrechte Schweiz zur freien Verfügung für alle Organisationen, Parteien etc. die sich an der Vernehmlassung beteiligen möchten

Bis zum 9. September 2022 läuft die Frist zur Vernehmlassung betreffend die Änderung des Nachrichtendienstgesetzes (NDG). Fünf Jahre nach dessen Inkraftsetzung und etwas mehr als 30 Jahren nach dem Fichenskandal will der Bundesrat die Überwachungs- und Datenerfassungs-Kompetenzen des NDG massiv ausbauen. Vorliegendes Fact-Sheet gibt einen ersten Überblick über die, aus Sicht der AG Sicherheit der NGO Plattform besonders problematischen Punkte der laufenden Gesetzesrevision:1

A) Dammbruch bei der Datenbeschaffung

Gemäss geltendem Art. 5 Abs. 5 NDG beschafft und bearbeitet der Nachrichtendienst keine «Informationen über die politische Betätigung und über die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit in der Schweiz», eine eigentlich unmissverständliche Vorgabe. Das aktuelle Gesetz sieht eine Ausnahme dieser Datenbearbeitungsschranke vor, wenn «konkrete Anhaltspunkte» vorliegen, dass diese Rechte nur ausgeübt werden, «um terroristische, verbotene nachrichtendienstliche oder gewalttätig-extremistische Tätigkeiten vorzubereiten oder durchzuführen». Der Bundesrat beteuert im erläuternden Bericht, dass die bisherige nachrichtendienstliche Datenbearbeitungsschranke «unangetastet» bleibe und die Ausnahme bloss «präzisiert» werden soll.2 Dies ist mehr als kritisch zu hinterfragen, denn mit der Gesetzesrevision werden Grundprinzipien der Bearbeitungstätigkeit des Nachrichtenddienstes umgedreht und ein Flickenteppich an Ausnahmen geschaffen:

  • Umkehr der Datenbearbeitungsschranke – zuerst Sammeln, dann prüfen: Gemäss Art. 5 Abs. 6 Bst. a nNDG soll der Nachrichtendienst auch Personendaten über die Ausübung politischer Grundrechte sammeln können, um zu prüfen, ob eine Ausnahme nach Art. 5 Abs. 6 oder 8 nNDG vorliegt. Falls dies nicht der Fall ist, darf der Nachrichtendienst die Daten dennoch bearbeiten, wenn er sie anonymisiert (Art. 5 Abs. 6 Bst. a i.V.m. Art. 46 Abs.  1 nNDG). Damit wäre es dem Nachrichtendienst zukünftig möglich, Informationen zu zahllosen politischen Ereignissen und Tätigkeiten zu sammeln und abzuspeichern, sofern er diese keiner Person aktiv zuordnet. Besonders problematisch ist dabei, dass die Prüfung für Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen und genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen erst erfolgt, wenn diese bereits als Personendaten in die Datenbank gelangt sind.3 Damit dürfen jegliche öffentliche Aufrufe zu Kundgebungen, politischen Veranstaltungen und Versammlungen als «Rohdaten»4 fichiert werden. Der Entwurf und der erläuternde Bericht schweigen sich darüber aus, wie lange diese Prüfung dauern soll bzw. wie lange diese Personendaten als Rohdaten aufbewahrt werden und verwendet werden dürfen. Solche Fristen gehören aber zwingend ins Gesetz.

  • Ausbau der Ausnahmen zur Datenbearbeitungsschranke:

    • Personendaten über die Ausübung politischer Grundrechte dürfen neu gesammelt werden, wenn es zum «Schutz einer Organisation oder Person» (Art. 5 Abs. 6 Bst. c nNDG) notwendig ist.5 Es ist absurd, dass der NDB die Grundrechte verletzt unter dem Vorwand, diese zu schützen. Die bisher geltende Ausnahmeregelung ist ausreichend;

    • Neu besteht eine Ausnahme zur «Beurteilung oder Steuerung von Quellen» (Art. 5 Abs. 6 Bst. d nNDG) und zur «Führung des Nachrichtenverbunds» (Art. 5 Abs. 6 Bst. e nNDG). Letzteres ist insbesondere problematisch, da es sich dabei um die Schnittstelle zwischen Bund und Kantonen handelt (Datenbank ELD), in der sich zahlreiche unzulässige Lagedarstellungen befanden6 und diese Daten sogar an Private weitergegeben werden dürfen (Art. 43 Abs. 3 VIS-NDB);

    • Organisationen und Gruppierungen die auf der Beobachtungsliste des Bundesrates gemäss Art. 72 NDG stehen sowie Personen, die sich an einer solchen beteiligen, personell oder sie materiell unterstützen, für sie Propagandaaktionen organisieren oder auf andere Weise fördern, dürfen neu bei der Ausübung ihrer politischen Grundrechte überwacht werden.

B) Weitere Einschränkung des Auskunftsrechts und der gerichtlichen Beschwerdemöglichkeit

Bereits heute ist die Auskunftspraxis des Nachrichtendienstes wenig einheitlich und intransparent.7 Die bisher geltenden verschiedenen Wege über den Nachrichtendienst, den Eidgenössischen Datenschutzbeauftragen (EDÖB) und das Verwaltungsgericht sowie die verschiedenen Bestimmungen aus dem NDG und dem DSG machen die Sache nicht einfacher. Anstatt die Auskunftspraxis transparenter zu machen und zu vereinfachen, will der Bundesrat die Beschwerdemöglichkeit für gewisse Auskünfte und Mitteilungen ganz einschränken (Art. 63a Abs. 8 nNDG).

Im erläuternden Bericht hält der Bundesrat lakonisch fest, dass die «Verfassungs- und Völkerrechtskonformität des Verzichts auf ein ordentliches Rechtmittel» noch umstritten sei und im Verlaufe des Vernehmlassungsverfahrens vertiefter geklärt werde.8 Bereits heute ist die Auskunftspraxis des Nachrichtendienstes kaum EMRK konform, eine weitere Beschneidung dieser knappen Rechte ist daher ein absolutes No-Go.9

C) Massiver Ausbau der Überwachungsmassnahmen

Bisher sind «genehmigungspflichtige Beschaffungsmassnahmen», wie die Überwachung der Post und des Telefons oder das Eindringen in Computersysteme strengen Voraussetzungen unterworfen. Sie können nur bei einer «konkreten Bedrohung der inneren und äusseren Sicherheit» durch gewisse Tätigkeit (Art. 27 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 2 Bst. a - d NDG) angeordnet werden. Neu soll die präventive Überwachung von gewalttätig-extremistischen Aktivitäten erlaubt werden, obwohl der Bundesrat und die eidgenössischen Räte bei der Erarbeitung des Nachrichtendienstgesetzes im Jahre 2009 mehrmals bekräftigten, die neu vorgesehen präventive Überwachung würden nicht in diesem Bereich zur Anwendung kommen; denn Gewalttätiger Extremismus sei «näher an politisch-ideologischen Bewegungen angesiedelt, was besondere Zurückhaltung erfordere»10. Ausserdem erhält der NDB neu die Möglichkeit bei Banken und weiteren Finanzintermediären Auskünfte zu Finanzflüssen einzuholen. Dies öffnet Tür und Tor für die Ausforschung von NGOs oder kirchlich-religiösen Institutionen.

Unhaltbar ist die Streichung von Art. 28 Abs. 2 NDG! Neu sollen genehmigungspflichtige Massnahmen auch gegenüber Geistlichen, Rechtsanwält:innen, Ärzt:innen und Journalist:innen angeordnet werden dürfen. Erst im Nachhinein soll das Bundesverwaltungsgericht, die vom NDB beschafften Daten aussondern und vernichten. Ein bislang sakrosanktes Berufsgeheimnis (z.B. Arzt- oder Beichtgeheimnis) wird damit ausgehöhlt.

D) Ausweitung des Ausreiseverbots des BWIS für Demonstrationen und Kundgebungen

Neu soll eine Ausreisebeschränkungen für die Teilnahme an Demonstrationen und Kundgebungen im Ausland eingeführt werden, wenn damit zu rechnen ist, dass es dort zu Gewalttätigkeiten kommt (Art. 24h nBWIS). Wobei «ausnahmsweise polizeiliche Nachweise» für die Annahme einer Gefährlichkeit ausreichen sollen (Art. 24h nBWIS). Dieser Nachweis kann durch polizeiliche Strafanzeigen, polizeilichen Fernhalteverfügungen und Wegweisungsverfügungen erbracht werden oder sich lediglich auf «glaubwürdige Aussagen» der Polizei oder Privatpersonen sowie aufgrund Meldungen ausländischer Behörden stützen.11 Einmal mehr beweist sich hier die Annahme, dass Massnahmen, die sich gegen Menschen und Gruppen ohne parlamentarische Lobby richten, früher oder später auf weitere Kreise ausgedehnt werden. Unschwer festzustellen, dass diese Verschärfung u.a. Globalisierungskritiker:innen, Klima-Aktivist:innen oder Exil- und Menschenrechtsorganisationen im Visier hat. Massnahmen für Jugendliche sollten grundsätzlich wie das Jugendstrafrecht erzieherisch wirken. Im Kontext von immer öfter stattfindenden grenzüberschreitenden Aktionen oder Kundgebungen muss diese Massnahme gegen Minderjährige ab 15. Jahren strikt abgelehnt werden.

1 Weitere Informationen werden zu gegebener Zeit von der AG-Sicherheit publiziert und für die Vernehmlassung zur Verfügung gestellt.

2 Vgl. Erläuternder Bericht zur Revision des Bundesgesetzes vom 25. September 2015 über den Nachrichtendienst vom Mai 2022, S. 3.

3 Vgl. zur Übersicht der «Eingangsprüfung» Erläuternder Bericht, S. 19.

4 Der NDB unterscheidet neu die nachrichtendienstlichen Daten in seiner Datenbank in Roh- und Arbeitsdaten, wobei erst letztere auf Relevanz und Richtigkeit hin geprüft sind, vgl. Erläuternder Bericht, S. 26.

5 Als Beispiele führt der erläuternde Bericht etwa einen geplanten Anschlag auf den Hauptsitz eines Grosskonzerns an, der die Information der Kantonspolizei und Datenbearbeitung notwendig macht.

6 Vgl Jahresbericht 2019 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte vom 28. Januar 2020, BBI 2020-2971, hier 3047.

7 Vgl. für die Kritik zur Auskunftspraxis und Empfehlungen, Jahresbericht 2021 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte vom 25. Januar 2022, BBI 2020-2971, hier S. 125 ff.

8 Vgl. Erläuternder Bericht zur Revision des Bundesgesetzes vom 25. September 2015 über den Nachrichtendienst vom Mai 2022, S. 29.

9 Vgl. etwa EGMR Urteil Klass u.a. gegen Deutschland, 5029/71, Urteil vom 6. September 1978 oder EGMR- Urteil Leander gegen Schweden, 9248/81, vom 26. März 1987.

10 Vgl. Erläuterung zu Gewalttätigem Extremismus des VBS, https://www.vbs.admin.ch/de/sicherheit/nachrichtenbeschaffung/gewaltextremismus.html

11 Aufgrund der Verwendung des Worts «namentlich» in Art. 24h Abs. 2 nBWIS ist die Aufzählung nicht abschliessend. Der erläuternde Bericht verweist sodann explizit auf Art. 5 VVMH (SR 120.53).

 

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