Mobiltelefon wird zum Spion der Polizei

15. Dezember 2013

Chris­tof Mo­ser, «Schweiz am Sonn­tag»

Die ge­plan­te Re­vi­si­on des Bun­des­ge­set­zes zur Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs (Büpf) er­laubt der Po­li­zei, je­den Han­dy­be­sit­zer zu iden­ti­fi­zie­ren. Ei­nen kon­kre­ten Ver­dacht braucht sie da­für nicht.

Letz­ten Don­ners­tag in der ukrai­ni­schen Haupt­stadt Kiew: De­mons­tran­ten, die ge­gen die Re­gie­rung pro­tes­tie­ren, be­set­zen ein Ge­bäu­de. Plötz­lich piep­sen ih­re Han­dys. Ein SMS der Po­li­zei: «Sie sind um­stellt», steht in der Kurz­mit­tei­lung. «Sie ha­ben kei­ne Chan­ce!»

«Im­si-Cat­cher» heisst das Ge­rät, das den ukrai­ni­schen Po­li­zei­kräf­ten er­mög­lich­te, die De­mons­tran­ten im Ge­bäu­de zu iden­ti­fi­zie­ren und an­zu­piep­sen. Der Cat­cher si­mu­liert ei­ne Mo­bil­funk­zel­le, in die sich al­le ein­ge­schal­te­ten Han­dys im Um­kreis von 300 Me­tern ein­log­gen und die den Be­hör­den au­to­ma­tisch die «In­ter­na­tio­nal Sub­scri­ber Iden­ti­ty» (IM­SI) über­mit­telt – ein 15-stel­li­ger Code auf je­der SIM-Kar­te, mit der sich je­der Han­dy­be­sit­zer zwei­fels­frei iden­ti­fi­zie­ren lässt.

Die­ses Über­wa­chungs­ge­rät, bis vor kur­zem so gross wie ein Rei­se­kof­fer, in­zwi­schen klein wie ein Han­dy, das längst nicht mehr nur Mo­bil­fun­k­nut­zer iden­ti­fi­zie­ren, son­dern auch Be­we­gungs­pro­fi­le er­stel­len und so­gar Han­dy­ge­sprä­che mit­schnei­den kann, ist der Traum je­der Si­cher­heits­be­hör­de. In der Mos­kau­er U-Bahn soll ne­ben je­de Über­wa­chungs­ka­me­ra ein Cat­cher in­stal­liert wer­den, da­mit Po­li­zei und Ge­heim­dienst je­der­zeit je­den Han­dy­nut­zer iden­ti­fi­zie­ren kön­nen, der im Un­ter­grund der rus­si­schen Haupt­stadt un­ter­wegs ist. In Deutsch­land nutzt die Po­li­zei Im­si-Cat­cher, um Teil­neh­mer von De­mons­tra­tio­nen zu iden­ti­fi­zie­ren.

Auch die Schwei­zer Po­li­zei­be­hör­den set­zen den Im­si-Cat­cher ein – bis­lang pri­mär bei der Su­che nach ver­miss­ten Per­so­nen. Durch­schnitt­lich 15-mal jähr­lich kommt der ein­zi­ge ver­füg­ba­re Cat­cher in der Schweiz da­für laut Bun­des­amt für Po­li­zei (Fed­pol) zum Ein­satz. Ein of­fe­nes Ge­heim­nis ist al­ler­dings, dass das Ge­rät be­reits heu­te auch zur Ver­bre­chens­be­kämp­fung ge­nutzt wird – auf recht­lich wack­li­ger Grund­la­ge.

Des­halb will das Eid­ge­nös­si­sche Po­li­zei- und Jus­tiz­de­par­te­ment von Bun­des­rä­tin Si­mo­net­ta Som­maru­ga den Cat­cher-Ein­satz in der Straf­pro­zess­ord­nung (StPO) par­al­lel zur lau­fen­den Re­vi­si­on des Bun­des­ge­set­zes zur Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs (Büpf) ju­ris­tisch ein­wand­frei re­geln. Die Be­hör­den wer­den da­bei nicht mü­de zu be­to­nen, je­der Ein­satz des Im­si-Cat­chers und die Aus­wer­tung der ab­ge­saug­ten Da­ten be­nö­tig­ten ei­ne rich­ter­li­che Er­mäch­ti­gung.

Das ist je­doch nur die hal­be Wahr­heit, wie Re­cher­chen der «Schweiz am Sonn­tag» zei­gen: Durch die Hin­ter­tür er­öff­net die ge­plan­te Büpf-Re­vi­si­on der Po­li­zei die Mög­lich­keit, das Mo­bil­te­le­fon je­der Bür­ge­rin und je­des Bür­gers für Per­so­nen­kon­trol­len zu nut­zen – oh­ne je­de rich­ter­li­che Er­mäch­ti­gung, oh­ne kon­kre­ten Ver­dacht und oh­ne je­de Straf­tat.

Der Grund: Bei ei­ner Über­wa­chung mit dem Im­si-Cat­cher wer­den nicht nur die Da­ten der Ziel­per­son er­fasst, de­ren Über­wa­chung ein Rich­ter be­wil­ligt hat, son­dern die Da­ten al­ler Per­so­nen im Um­kreis der über­wach­ten Per­son. Für die Aus­wer­tung, al­so die Iden­ti­fi­ka­ti­on des Han­dy­be­sit­zers via Im­si-Code, braucht die Po­li­zei kei­ne rich­ter­li­che Be­wil­li­gung. Das Bun­des­amt für Jus­tiz be­stä­tigt den Sach­ver­halt: «Da es sich um Da­ten han­delt, die dem Fern­mel­de­ge­heim­nis nicht un­ter­ste­hen, dür­fen sie von der Po­li­zei zwecks Er­fül­lung von Po­li­zei­auf­ga­ben oh­ne An­ord­nung der Staats­an­walt­schaft und oh­ne Ge­neh­mi­gung ei­nes Zwangs­mass­nah­men­ge­richts ver­langt wer­den.»

Doch da­mit nicht ge­nug: Die Po­li­zei soll für die Iden­ti­fi­ka­ti­on nicht ein­mal mehr die Mo­bil­funk­an­bie­ter an­fra­gen müs­sen. Ge­mäss Büpf-Ent­wurf müs­sen die An­bie­ter si­cher­stel­len, «dass die Da­ten (...) im Ab­ruf­ver­fah­ren zu­gäng­lich sind und dass die Mit­tei­lung der Da­ten kos­ten­los und rund um die Uhr» er­fol­gen kann.

«Die Po­li­zei kann sich so­mit sel­ber Aus­kunft über Per­so­nen er­tei­len, die zu ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt in ei­nem be­stimm­ten Ge­biet wa­ren, oh­ne je­de Kon­trol­le», sagt Mar­tin Stei­ger, Rechts­an­walt und Mit­glied der Di­gi­ta­len Ge­sell­schaft, wel­che die Büpf-Re­vi­si­on als «rechts­staat­lich un­halt­bar» ab­lehnt – nicht zu­letzt we­gen der ge­plan­ten Le­ga­li­sie­rung von Im­si-Cat­chern: «Über­wa­chungs­mass­nah­men soll­te ein Rechts­staat nur ge­gen Per­so­nen ein­set­zen dür­fen, die auch tat­säch­lich ver­däch­tigt wer­den.»

Kon­fron­tiert mit den Re­cher­chen, re­agiert auch FDP-Na­tio­nal­rat Rue­di No­ser alar­miert: «Dass beim Ein­satz ei­nes Im­si-Cat­chers mas­sen­haft Da­ten von Per­so­nen er­ho­ben wer­den, die we­der Ver­däch­tig­te noch Be­schul­dig­te sind, ist grund­sätz­lich ein Pro­blem. Dass die Po­li­zei die­se Da­ten oh­ne rich­ter­li­che Ver­fü­gung aus­wer­ten dür­fen soll, ist in­ak­zep­ta­bel.» Bal­tha­sar Glätt­li, Na­tio­nal­rat der Grü­nen, sagt: «Die Mög­lich­keit der Mas­sen­iden­ti­fi­ka­ti­on kommt ei­ner po­li­zei­li­chen Aus­weis­kon­trol­le via Han­dy gleich. Da­bei kennt die Schweiz bis­her – zu Recht – nicht mal die Aus­weis­pflicht.»

Der St. Gal­ler Staats­an­walt Tho­mas Hans­ja­kob, der die Büpf-Re­vi­si­on be­für­wor­tet, kon­tert: «Es be­steht im­mer die Ver­su­chung, vor­han­de­ne Mög­lich­kei­ten ex­zes­siv ein­zu­set­zen. Ich ken­ne aber kei­ne Bei­spie­le, bei de­nen dies zu rea­len Pro­ble­men führ­te. Da­ge­gen gibt es sehr vie­le Bei­spie­le da­für, dass Zu­falls­fun­de sinn­vol­ler­wei­se ver­wer­tet wur­den.»

Die Po­li­zei je­den­falls stellt sich be­reits auf ih­re neu­en Mög­lich­kei­ten nach der Büpf-Re­vi­si­on ein: «Es ist rich­tig, dass die Kan­tons­po­li­zei Zü­rich zwei Im­si-Cat­cher an­ge­schafft hat. Die Ein­füh­rungs­pha­se wird in den nächs­ten Wo­chen ab­ge­schlos­sen», be­stä­tigt Ka­po-Spre­cher Wer­ner Schaub ent­spre­chen­de Re­cher­chen der «Schweiz am Sonn­tag».

 

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