Was die Vorratsdaten preisgeben

27. April 2014

Sylke Gruhnwald, NZZ

Daten können viel verraten: Mit den Vorratsdaten aus der Mobilfunkkommunikation lassen sich lückenlose Nutzerprofile erstellen. Das zeigt die interaktive Visualisierung der Vorratsdaten des Nationalrats Balthasar Glättli.

Wann, wo, mit wem und wie lange hat ein Mobiltelefonnutzer telefoniert, SMS und E-Mails ausgetauscht? Diese personenbezogenen Daten aus der Telelkommunikation ergeben in ihrer Summe ein Profil des jeweiligen Nutzers: Es legt Tagesabläufe, Gewohnheiten, besuchte Orte, aber auch Vorlieben und soziale Beziehungen offen. Wie lange solche Informationen vorgehalten werden müssen, darum dreht sich die europaweite Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung.

Nach dem deutschen Politiker Malte Spitz und dem britischen Journalisten Daniel Thomas hat der Zürcher Nationalrat Balthasar Glättli (gp.) seine Verbindungsdaten bei seinem ehemaligen Mobilfunkanbieter eingefordert und zur Publikation erhalten. So ist das Leben des Politikers über die Daten – gespeichert auf Vorrat im Zeitraum von Januar bis Juli 2013 – fast lückenlos nachzuverfolgen. Zwar wurden nur die Verbindungsdaten und keine Inhalte gespeichert, öffentliche Facebook-Posts und Tweets vervollständigen aber auch inhaltlich das Bewegungsprofil.

Darüber hinaus hat eine Auswahl von persönlichen Kontakten Glättlis, darunter auch seine Partnerin, zugestimmt, dass ihre Telekommunikationsverbindungen mit seinen Daten offen gelegt und in der Datenvisualisierung explizit ausgewiesen werden. Aus den Daten der E-Mail-Kommunikation lässt sich ein Kontaktnetzwerk spinnen, welches auch Rückschlüsse auf die Beziehungen zwischen den einzelnen Adressaten erlaubt. Die kumulierten Vorratsdaten zeigen zudem die meist besuchten Orte und Regionen Glättlis in der Schweiz.

Was zunächst abstrakt klingt, formiert sich zu einem fast vollständigen Abziehbild des Lebens Glättlis:

Auslöser für ein solches Experiment in Zusammenarbeit mit der Digitalen Gesellschaft und der deutschen Agentur Open Data City war für Glättli die fehlende Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung in der Schweiz. Seiner anfänglichen Euphorie für das politische Statement gegen die Vorratsdatenspeicherung folgte mit Fortschritt des Experiments das Gefühl der Entblössung, erklärt der Nationalrat, denn «man fühlt sich ziemlich schnell nackt.»

EuGH-Urteil gegen Vorratsdatenspeicherung

Auf europäischer Ebene kippten die Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Anfang April die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit einem richtungsweisenden Urteil: Die Speicherung von Kommunikationsdaten ohne Verdacht auf Straftaten ist nicht mit europäischen Recht vereinbar. Der Europäische Gerichtshof hatte sich eingeschaltet, nachdem die irische Bürgerrechtsorganisation «Digital Rights Ireland», die Kärntner Landesregierung und mehrere Tausend Österreicher gegen diese Richtlinie geklagt hatten.

Lage in der Schweiz

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat keine direkten rechtlichen Auswirkungen auf die Schweiz. Das Parlament in Bern berät aber aktuell über eine Revision des Gesetzes mit dem umständlichen Namen «Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs» (Büpf). Darin ist im Gegensatz zur europäischen Variante sogar eine Verdoppelung der präventiven Vorratsdatenspeicherung von sechs auf zwölf Monate vorgesehen. Dieses Vorhaben könnte nach dem Richterspruch aus Luxemburg allerdings politischen Gegenwind bekommen. Der Ständerat beriet im März als Erstrat über die Revision und winkte diese ohne grosse Diskussionen durch. Nun ist der Nationalrat an der Reihe.

Für den Fall, dass der Zweitrat der Gesetzesrevision zustimmt, haben sowohl politische Vertreter als auch solche der Telekommunikationsbranche Widerstand angekündigt. Eine Allianz aus Jungparteien aller politischen Couleurs debattiert bereits, dann das Referendum zu ergreifen.

Des Weiteren ist eine Beschwerde der Digitalen Gesellschaft gegen die bestehende Vorratsdatenspeicherung hängig. Die Organisation rechnet spätestens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg mit einem Erfolg iIhrer Beschwerde- und Klageführung. Dieser Weg durch die Instanzen bis auf europäische Ebene ist möglich, weil die Schweiz als Mitglied des Europarats die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) im Jahr 1974 ratifiziert hat. Diese regelt in Artikel 8 das Recht jeder Person auf Achtung ihres Privatlebens und ihrer Korrespondenz.

From NSA with Love

Gelangen personenbezogene Daten aus der Telekommunikation in die falschen Hände, besteht die Gefahr von Missbrauch. Eifersucht und Voyeurismus verringern wohl die Hemmschwelle. So hat der amerikanische Geheimdienst National Security Agency (NSA) im vergangenen Herbst Details zu diversen Missbrauchsfällen veröffentlicht. Geheimdienstmitarbeiter hatten die Überwachungssysteme der NSA genutzt, um ihre Partner auszuspionieren, sowohl in den USA als auch in Übersee. Diese Praxis hat bereits einen Spitznamen und wird beim Geheimdienst als «Loveint» bezeichnet: eine Kombination aus «love» und «intelligence». Dies zeigt, die Bereiche der privaten und der staatlichen Datenerfassung sind längst keine getrennten Welten mehr.

Was ist die Vorratsdatenspeicherung?

Wer hat mit wem, wann, wie oft und von welchem Standort kommuniziert? Wurde telefoniert? Wurde gemailt? Wurde im Internet gesurft? Mit welchem Gerät? In der Europäischen Union gab es bis Anfang April eine Richtlinie, nach der Telekommunikationsunternehmen die Randdaten von Telefongesprächen, E-Mail- und Internetverkehr zwischen mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren aufbewahren mussten. Die Terroranschläge in Madrid 2004 und London 2005 waren Auslöser zur Schaffung dieser EU-Richtlinie. Bei der Vorratsdatenspeicherung werden Telefon- und Internetdaten ohne Verdacht auf eine Straftat für einen längeren Zeitraum gespeichert. Auch hiesige Anbieter von Kommunikationsdienstleistungen müssen eine Vielzahl von Daten verdachtslos auf Vorrat speichern. Dazu zählen personenbezogene Daten eines Anschlussinhabers wie der Name, die Adresse oder die Kontonummer. Festgehalten und archiviert werden auch angewählte Telefonnummern und genutzte E-Mail-Adressen sowie Datum und Uhrzeit der jeweiligen Verbindung. Bei Mobilfunktelefonen wird darüber hinaus der Standort der Gesprächspartner festgehalten. Nicht gespeichert wird der eigentliche Inhalt der Kommunikation wie beispielsweise der Inhalt einer E-Mail oder eines Telefongesprächs.

 

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