Ein polizeiliches Repressionsmittel sorgt seit einigen Jahren für Kontroversen: der Wegweisungsartikel. Polizisten stützen sich gerne auf ihn, um unter dem Titel «Sicherheit und Ordnung» unliebsame Individuen von einem öffentlichen Ort fernzuhalten. Kritiker monieren dagegen den massiven Eingriff in die persönliche (Bewegungs-)Freiheit. Vergangene Woche zog die Stadt Zürich erstmals Bilanz (NZZ 21.3.13). Die fast 13 000 Wegweisungen in drei Jahren warfen die berechtigte Frage auf, ob der Wegweisungsartikel nicht zu oft und zu schnell Anwendung findet. Wegweisungen beschäftigen seit dem Inkrafttreten des revidierten Polizeigesetzes im Jahr 2009, das dieses Repressionsmittel erlaubt, aber auch vermehrt die Rechtspflege. So hat jüngst das Verwaltungsgericht die zentrale Frage nach der Verhältnismässigkeit beantworten müssen.
Am 1. Mai 2011 hatte die Polizei erstmals in grossem Stil vom Wegweisungsartikel Gebrauch gemacht, um am späten Nachmittag eine gewalttätige Nachdemonstration im Zürcher Langstrassenquartier zu verhindern. Dabei wurden rund um den Helvetiaplatz knapp 550 Personen eingekesselt und festgenommen. 468 von ihnen wurden im Verlauf des Abends nach Anordnung einer 24-stündigen Wegweisung wieder entlassen. Ein heute 28-jähriger Betroffener ergriff Rechtsmittel und zog den Fall bis vor Verwaltungsgericht. Er machte unter anderem geltend, dass er weder die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet noch einer Ansammlung von Personen angehört habe, von denen eine solche Gefährdung ausgegangen sei. Die Anwendung des Wegweisungsartikels sei folglich gar nicht zulässig gewesen. Tatsächlich konnte die Polizei dem Mann keine Gewaltbereitschaft nachweisen. Das Gericht geht in seinem Urteil aber davon aus, dass angesichts der aussergewöhnlichen Situation, wie sie die Polizei an jenem 1.Mai antraf, der Wegweisungsartikel auch auf Personen anwendbar sei, bei denen «eine Gefährdungsabsicht nicht ausgeschlossen» werden könne. Zudem sei die Ausdehnung des Anwendungsbereichs umso mehr gerechtfertigt, als es sich bei der Wegweisung lediglich um eine sicherheitspolizeiliche Administrativmassnahme handle.
Die Verhältnismässigkeit der Wegweisungsverfügung bejahte das Verwaltungsgericht ebenfalls klar. Mit der Wegweisung habe die Polizei verhindert, dass es nach Abschluss der Personenkontrollen zu weiteren Menschenansammlungen gekommen sei, von denen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit hätte ausgehen können. Die Wegweisung für 24 Stunden aus den Stadtkreisen 1, 4 und 5, in denen es in den Jahren zuvor am 1. Mai immer wieder zu Nachdemonstrationen und Sachbeschädigungen gekommen war, sei aufgrund der Erfahrungen der Polizei angemessen gewesen. Damit sei das öffentliche Sicherheitsinteresse zu Recht höher gewichtet worden als die Bewegungsfreiheit des Beschwerdeführers, der in den betreffenden Gebieten weder wohnte noch arbeitete.
Urteil VB.20l2.0U272 vom 7. Februar 2013, nicht rechtskräftig.
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