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Jahresrückblick 2022

März 2023

Be­reich Cy­ber des Nach­rich­ten­diens­tes

Der Be­reich Cy­ber des Nach­rich­ten­diens­tes des Bun­des (NDB) hat in meh­re­ren Dut­zend Fäl­len wäh­rend sechs Jah­ren - von 2015 bis 2020 - oh­ne Ge­neh­mi­gung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts in der Pri­vat­sphä­re von Pri­va­ten her­um­ge­schnüf­felt. Die­se un­be­fug­te Da­ten­be­schaf­fung er­folg­te, oh­ne dass je­mand et­was ge­merkt hät­te – we­der die par­la­men­ta­ri­sche Auf­sichts­kom­mis­si­on GPDel noch die un­ab­hän­gi­ge Be­hör­de zur Auf­sicht über die nach­rich­ten­dienst­li­chen Tä­tig­kei­ten AB-ND oder das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt. Die jüngs­ten Ver­feh­lun­gen des NDB spiel­ten sich un­ter der Lei­tung des von Bun­des­rat Guy Par­me­lin ein­ge­setz­ten NDB-Chefs Jean-Phil­ip­pe Gau­din ab, der per 31. Au­gust 2021 in die Pri­vat­wirt­schaft ent­las­sen wur­de. Die neue Vor­ste­he­rin des VBS, Bun­des­rä­tin Vio­la Am­herd, un­ter­band die­se il­le­ga­le Tä­tig­keit zwar im Früh­jahr 2021, liess sich aber bis En­de Ja­nu­ar 2022 Zeit, um den Ge­samt­bun­des­rat und die Öf­fent­lich­keit zu in­for­mie­ren. Der vom VBS mit der Ad­mi­nis­tra­ti­v­un­ter­su­chung be­auf­trag­te alt Bun­des­rich­ter Ni­k­laus Ober­hol­zer hielt in sei­nem, im De­zem­ber 2022 nur aus­zugs­wei­se öf­fent­lich zu­gäng­li­chen Be­richt u.a. fest, dass der NDB nicht schuld­haft ge­gen Be­stim­mun­gen des NDG ver­stos­sen ha­be, son­dern „die Rechts­la­ge ver­kannt und die fern­mel­de­recht­li­che Di­men­si­on der Da­ten­be­schaf­fung und -be­ar­bei­tung nicht er­kannt hat­te“. Um­strit­ten bleibt da­her, ob und wie­weit und wen der Be­reich Cy­ber NDB künf­tig oh­ne rich­ter­li­che Ge­neh­mi­gung über­wa­chen darf. Und wel­che ge­setz­li­che Grund­la­ge da­zu not­wen­dig ist.

Au­to­ma­ti­sche Ge­sichts­er­ken­nung durch NDB

Die in­ter­ne „Un­ab­hän­gi­ge Auf­sichts­be­hör­de über die nach­rich­ten­dienst­li­chen Tä­tig­kei­ten (AB-ND)“ hat in ih­rem Tä­tig­keits­be­richt 2021 En­de März 2022 pu­blik ge­macht, dass der NDB il­le­ga­ler­wei­se Soft­ware zur au­to­ma­ti­schen Ge­sichts­er­ken­nung ein­setzt. Al­ler­dings sieht die AB-ND nicht wirk­lich ein Pro­blem da­bei, da es da­für ei­ne sog. Rechts­grund­la­gen­ana­ly­se ge­be. Dass ei­ne Rechts­grund­la­gen­ana­ly­se be­nö­tigt wird macht aber deut­lich, dass kei­ne ge­nü­gend kla­re Rechts­grund­la­ge vor­han­den ist. Ei­ne sol­che wä­re aber zwin­gend, um zu re­geln ob, un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen und zu wel­chem Zweck der NDB Ge­sichts­er­ken­nungs-Soft­ware ein­set­zen darf, da es sich um ei­nen schwe­ren Ein­griff in die Grund­rech­te han­delt. Die Di­gi­ta­le Ge­sell­schaft ge­lang­te an den Eid­ge­nös­si­schen Da­ten­schutz­be­auf­trag­ten, der im Au­gust ver­füg­te, dass der NDB die ge­for­der­te Ein­sicht in die in­ter­nen Un­ter­la­gen ge­wäh­ren müs­se, was die­ser aber ver­wei­ger­te. Da­ge­gen reich­te die Di­gi­ta­le Ge­sell­schaft im Sep­tem­ber 2022 Be­schwer­de beim Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt BV­Ger ein. Das BV­Ger hat dem NDB En­de De­zem­ber Frist­ver­län­ge­rung zur Stel­lung­nah­me ge­währt.

An­ten­nen­such­lauf: Fahn­dungs­mit­tel auf Kos­ten der Fern­mel­de-Abon­nent:in­nen

2021 sank die An­zahl an­ge­ord­ne­ter Fern­mel­de-Über­wa­chungs-mass­nah­men auf 8056, ge­gen­über 9085 im Vor­jahr. Stark zu­ge­nom­men ha­ben hin­ge­gen Te­le­fon­buch­ab­fra­gen und An­ten­nen­such­läu­fe. Der Grund dürf­te fi­nan­zi­el­ler Na­tur sein: Te­le­fon­buch­ab­fra­gen müs­sen von den Pro­vi­dern gra­tis er­teilt wer­den, und für An­ten­nen-such­läu­fe gel­ten güns­ti­ge Pau­schal­ta­ri­fe. Nach dem Vier­fach­mord von Rup­pers­wil ord­ne­te die Staats­an­walt­schaft ei­nen enor­men An­ten­nen­such­lauf an: Sie ver­lang­te von vier Pro­vi­dern die An­ga­ben über al­le Mo­bil­te­le­fo­ne, die in ei­nem Zeit­raum von sie­ben Stun­den auf fast 150 Funk­zel­len im Um­kreis des Tat­orts ak­tiv wa­ren. Die Rech­nung über 816,000 Fran­ken woll­te sie aber nicht be­zah­len, das Bun­de­ver­wal­tungs­ge­richt senk­te den Be­trag auf rund 200,000 Fran­ken. Der Tä­ter wur­de al­ler­dings iden­ti­fi­ziert, weil er sich via Goog­le über die Op­f­er­fa­mi­lie in­for­miert hat­te. In der Fol­ge wur­de für die ge­sam­te Fern­mel­de­über­wa­chung ein stark re­du­zier­ter Ta­rif ein­ge­führt. Die Kos­ten be­zah­len da­her neu mehr­heit­lich die Abon­nent:in­nen der Fern­mel­de­an­bie­ter.

Bun­des­amt für Zoll und Grenz­si­cher­heit (BAZG): ei­ne neue Bun­des­po­li­zei ge­plant

Per 1. Ja­nu­ar 2022 wur­de die Eid­ge­nös­si­sche Zoll­ver­wal­tung (EZV) in «Bun­des­amt für Zoll und Grenz­si­cher­heit (BAZG) » um­be­nannt. Aber auch sonst ste­hen an den Gren­zen ei­ni­ge Än­de­run­gen an.

Wäh­rend ge­gen die Di­gi­ta­li­sie­rung und Au­to­ma­ti­sie­rung der Ver­zol­lungs­pro­zes­se grund­sätz­lich nichts ein­zu­wen­den ist, so­lan­ge die­se nach­voll­zieh­bar sind und oh­ne un­nö­ti­ges Sam­meln von Da­ten ab­ge­wi­ckelt wer­den, ist die weit­ge­hen­de Be­waff­nung heiss um­strit­ten. So­wohl für die Ge­werk­schaf­ten als auch für die Mit­ar­bei­ten­den ist das an­vi­sier­te Ver­schmel­zen der Be­ru­fe «Zoll­fach­mann/-frau» und «Grenz­wäch­ter/in» zu be­waff­ne­ten «Fach­spe­zia­list/in Zoll und Grenz­si­cher­heit» in­ak­zep­ta­bel: Man müs­se be­fürch­ten, dass mit der Be­waff­nung ei­ner solch gros­sen Ein­heit ei­ne zu­sätz­li­che (Bun­des­si­cher­heits-) Po­li­zei durch die Hin­ter­tü­re ein­ge­führt wür­de. Die Ab­sicht, das be­ste­hen­de Per­so­nal, wel­ches haupt­säch­lich in der Han­dels­wa­ren­zoll­ab­fer­ti­gung be­schäf­tigt ist neu zu be­waff­nen, ha­be gros­se Un­ru­he her­vor­ge­ru­fen

Vor­an­ge­trie­ben wird die­ser Um­bau von Ober­zoll­di­rek­tor Chris­ti­an Bock, der schon als Chef des Bun­des­amts für Me­tro­lo­gie um­strit­ten war. Er schloss die Ab­tei­lung Ther­mo­me­trie, wel­che nach sei­nem Ab­gang wie­der auf­ge­baut wur­de. Ob­wohl die Re­vi­si­on des Zoll­ge­set­zes noch nicht im Par­la­ment be­ra­ten wur­de, läuft die Re­or­ga­ni­sa­ti­on be­reits auf vol­len Tou­ren. Mit dem Ge­set­zes­ent­wurf des Bun­des­rats wür­den Zöll­ner:in­nen po­li­zei­li­che Kom­pe­ten­zen zur Wah­rung der in­ne­ren Si­cher­heit er­hal­ten, die ge­mäss Ver­fas­sung den Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den vor­be­hal­ten sind. Auch aus Sicht der Kon­fe­renz der kan­to­na­len Jus­tiz- und Po­li­zei­di­rek­to­rin­nen und -di­rek­to­ren (KKJPD) geht das Ge­setz zu weit: Ge­mäss Ver­fas­sung sei­en al­le, nicht ex­pli­zit dem Bund un­ter­stell­ten Auf­ga­ben Sa­che der Kan­to­ne. Der Bund miss­ach­te die Po­li­zei­ho­heit der Kan­to­ne und schan­ze den Zöll­nern po­li­zei­li­che Kom­pe­ten­zen zu. Bun­des­rä­tin Kel­ler-Sut­ter, wel­che die­ses Ge­schäft im De­zem­ber von Ue­li Mau­rer ge­erbt hat, setz­te im Ja­nu­ar 2023 ei­ne Ar­beits­grup­pe ein. Sie soll Lö­sungs­vor­schlä­ge zur Ret­tung des Zoll­ge­set­zes er­ar­bei­ten.

Nach­rich­ten­dienst­ge­setz: Aus­wei­tung der Kom­pe­ten­zen

Oh­ne Not will der Bun­des­rat das, im Sep­tem­ber 2017 in Kraft ge­setz­te Bun­des­ge­setz über den Nach­rich­ten­dienst (NDG) wei­ter ver­schär­fen. So soll der NDB neu auch «ge­walt­tä­ti­gen Ex­tre­mis­mus» über­wa­chen dür­fen, und das Be­rufs­ge­heim­nis von An­wäl­ten, Ärz­ten, Geist­li­chen usw. soll aus­ge­he­belt wer­den. Mit «ge­walt­tä­ti­gem Ex­tre­mis­mus» ist in ers­ter Li­nie lin­ker Ex­tre­mis­mus ge­meint. Die Ver­nehm­las­sung en­de­te im Herbst 2022. Zu­sam­men mit an­de­ren Or­ga­ni­sa­tio­nen hat grund­rech­te.ch ei­ne de­tail­lier­te Stel­lung­nah­me er­ar­bei­tet, um die Ver­schär­fun­gen des NDG ge­mein­sam zu be­kämp­fen. Das Par­la­ment wird die Ge­set­zes­än­de­run­gen vor­aus­sicht­lich ab 2024 be­ra­ten. Je nach Aus­gang ist ein er­neu­tes Re­fe­ren­dum nicht aus­zu­schlies­sen.

Ver­nehm­las­sun­gen
grund­rech­te.ch hat sich im Jahr 2022 an fol­gen­den eid­ge­nös­si­schen Ver­nehm­las­sun­gen be­tei­ligt:

  • Ein­schrän­kung der So­zi­al­hil­fe­leis­tun­gen für Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­der aus Dritt­staa­ten

  • Re­vi­si­on des Bun­des­ge­set­zes über den Nach­rich­ten­dienst

  • Bun­des­ge­setz über den elek­tro­ni­schen Iden­ti­täts­nach­weis und an­de­re elek­tro­ni­sche Nach­wei­se

Vor­stand
Ste­fan Die­ti­ker, Bern, Vik­tor Györf­fy, Zü­rich (Prä­si­di­um) Chris­toph Mül­ler, Us­ter, Chris­ti­an Thom­men, Bin­nin­gen, Ca­the­ri­ne We­ber, Bern (Ge­schäfts­füh­rung)

Kol­lek­tiv­mit­glie­der
Al­ter­na­ti­ve Lis­te Win­ter­thur * Al­ter­na­ti­ve Lis­te Zü­rich * au­gen­auf Ba­sel * au­gen­auf Bern * au­gen­auf Zü­rich * Bas­tA! Ba­sel * Bier­kur­ve Win­ter­thur * Bünd­nis Lu­zern für Al­le * De­mo­kra­ti­sche Ju­ris­tin­nen und Ju­ris­ten Schweiz DJS * Grü­nes Bünd­nis Bern * Grü­ne Par­tei Bern-De­mo­kra­ti­sche Al­ter­na­ti­ve GPB-DA * Grup­pe für ei­ne Schweiz oh­ne Ar­mee GSoA * Hu­man­rights.ch / MERS * Jun­ge Lin­ke Al­ter­na­ti­ve - Ju­LiA * Jung­so­zia­lis­tIn­nen JU­SO Schweiz * Lis­te ge­gen Ar­mut und Aus­gren­zung * Pi­ra­ten­par­tei Schweiz * Re­fe­ren­dum BWIS * So­li­da­ri­täts­netz Re­gi­on Ba­sel * So­li­da­ri­täts­netz Sanst-Pa­piers Bern * Swiss In­ter­net User Group SI­UG * Swiss Pri­va­cy Foun­da­ti­on * Ver­ein PSYCHEX

 

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