Medienmitteilung des Bundesgerichts (1C_225/2012)

10. Juli 2013

Das Bun­des­ge­richt heisst ei­ne Be­schwer­de ge­gen das re­vi­dier­te Gen­fer Ge­setz über Kund­ge­bun­gen auf öf­fent­li­chem Grund teil­wei­se gut („De­mons­tra­tio­nen mit Ge­walt­po­ten­ti­al“)

Art. 10A des Ge­set­zes, der die An­ord­nung ei­ner Sperr­frist von ein bis fünf Jah­ren ge­gen­über den Or­ga­ni­sa­to­ren ei­ner De­mons­tra­ti­on zu­lässt, ver­stösst ge­gen die Mei­nungs- und Ver­samm­lungs­frei­heit und ist auf­zu­he­ben. Da­ge­gen las­sen sich die üb­ri­gen an­ge­foch­te­nen Be­stim­mun­gen des Ge­set­zes ver­fas­sungs­kon­form aus­le­gen.

Am 9. Ju­ni 2011 be­schloss der Gen­fer Gros­se Rat ei­ne Re­vi­si­on des kan­to­na­len Ge­set­zes über Kund­ge­bun­gen auf öf­fent­li­chem Grund („Loi sur les ma­ni­fes­ta­ti­ons sur le do­mai­ne pu­blic“; LMD­Pu), um den Ri­si­ken von „De­mons­tra­tio­nen mit Ge­walt­po­ten­ti­al“ vor­zu­beu­gen. Die Com­mu­nauté ge­ne­voi­se d'ac­tion syn­di­ca­le und sechs Mit­be­tei­lig­te er­ho­ben ge­gen vier der neu­en Be­stim­mun­gen Be­schwer­de, un­ter Be­ru­fung ins­be­son­de­re auf die De­mons­tra­ti­ons­frei­heit (Art. 16 und 22 BV).

Das Bun­des­ge­richt ruft in sei­nem Ur­teil Trag­wei­te und Gren­zen die­ses Grund­rechts in Er­in­ne­rung. Es kommt zum Er­geb­nis, dass sich drei der neu­en Be­stim­mun­gen ver­fas­sungs­kon­form aus­le­gen las­sen, näm­lich Art. 5 Abs. 4 und 5 (wo­nach die Or­ga­ni­sa­to­ren ei­nen Ord­nungs­dienst vor­se­hen müs­sen), Art. 8 Abs. 2 (der ein Rück­griffs­recht des Staa­tes ge­gen Scha­dens­ver­ur­sa­cher und schuld­haf­te Or­ga­ni­sa­to­ren vor­sieht) und Art. 10 LMD­Pu (der ei­ne Bus­se bis Fr. 100'000.-- bei nicht be­wil­lig­ten De­mons­tra­tio­nen oder bei Nicht­be­ach­tung von Auf­la­gen vor­sieht).

Et­was an­de­res gilt je­doch für Art. 10A LMD­Pu. Die­se Be­stim­mung sieht die An­ord­nung ei­ner Sperr­frist von ein bis fünf Jah­ren vor für Ma­ni­fes­ta­ti­ons­ge­su­che ge­gen­über Or­ga­ni­sa­to­ren, wel­che bei ei­ner frü­he­ren De­mons­tra­ti­on Auf­la­gen nicht re­spek­tiert ha­ben. Dies gilt na­ment­lich, wenn sich bei ei­nem sol­chen frü­he­ren An­lass auch oh­ne Ver­schul­den der Or­ga­ni­sa­to­ren schwe­re Per­so­nen- oder Sach­schä­den er­eig­net ha­ben. Die­se Um­stän­de wer­den je­doch be­reits hin­rei­chend und ver­hält­nis­mäs­sig durch Art. 5 des Ma­ni­fes­ta­ti­ons­ge­set­zes ab­ge­deckt. Wenn es die In­ter­es­sen zum Schutz der öf­fent­li­chen Ord­nung ver­lan­gen, kann die De­mons­tra­ti­ons­be­wil­li­gung ge­stützt auf ei­ne kon­kre­te Ab­schät­zung der Ri­si­ken für die je­wei­li­ge Ver­an­stal­tung ver­wei­gert wer­den. Bei der Prü­fung künf­ti­ger Ge­su­che sind auch all­fäl­li­ge schlech­te Er­fah­run­gen mit Ge­such­stel­lern zu be­rück­sich­ti­gen, die frü­he­re De­mons­tra­ti­ons­an­läs­se or­ga­ni­siert ha­ben, bei de­nen es zu ei­ner Ge­fähr­dung der öf­fent­li­chen Ord­nung kam.

Art. 10A LMD­Pu en­hält ei­ne Sperr­frist für künf­ti­ge De­mons­tra­ti­ons­ge­su­che. Ei­ne sol­che Frist ver­letzt die wich­ti­gen Grund­rech­te der Mei­nungs- und In­for­ma­ti­ons­frei­heit (Art. 16 BV) in Ver­bin­dung mit der Ver­samm­lungs­frei­heit (Art. 22 BV). Sie weist in er­heb­li­chem Mass ei­nen ver­fas­sungs­wid­ri­gen Straf­cha­rak­ter auf und ist über­dies un­ver­hält­nis­mäs­sig.

Art. 10A LMD­Pu wird des­halb auf­ge­ho­ben. Die Be­schwer­de wird teil­wei­se gut­ge­heis­sen und im Üb­ri­gen ab­ge­wie­sen.

 

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