Demokratische Kontrolle? Ach was!

17. April 2018

Liliane Minor, TagesAnzeiger

Die entscheidende Frage ist nicht, ob Sozialdetektive GPS einsetzen dürfen oder nicht. Entscheidend ist, wer die Überwachung anordnet und ausführt.

Seit Wochen beherrschen sie die Schlagzeilen: die Detektive, die Betrügereien gegen Sozialhilfe und -versicherungen aufdecken sollen. Die Diskussion dreht sich um die Frage, ob GPS und Drohnen erlaubt sein sollen, ob nur fotografiert oder auch gefilmt werden darf, ob Tonaufnahmen zulässig sind - und darum, ob die SP inkonsequent ist, wenn sie sich für Sozialinspektoren in der Stadt Zürich ausspricht, aber auf Bundesebene das Referendum gegen die Überwachung unterstützt.

Doch die Diskussion um Methoden lenkt vom Kern der Sache ab. Entscheidend ist nicht, ob die Detektive GPS und Drohnen verwenden dürfen. Entscheidend ist, wer die Überwachung anordnet und wer sie ausführt. Der Bund erlaubt künftig privaten Versicherern, Privatdetektive auf ihre Kunden anzusetzen. Im Kanton sollen die Sozialbehörden Privatdetektive anheuern dürfen. In der Stadt beauftragen die Sozialbehörden städtische Inspektoren mit der Überwachung. Und das ist die entscheidende Differenz - die Position der SP ist deshalb nicht inkonsequent, sondern folgerichtig.

Aufweichung des Gewaltmonopols

Der Staat beansprucht zu Recht das Monopol, ins Privatleben seiner Bürger einzugreifen. Denn er allein steht unter demokratischer Kontrolle von gewählten Politikern und den Stimmbürgern. Lässt der Staat Privatdetektive zu, dann weicht er dieses Prinzip auf. Dass sich in Bern ausgerechnet die SVP, die sonst bei jeder Gelegenheit nach mehr demokratischer Kontrolle ruft, dafür ausspricht, ist irritierend. Letztlich heisst das: Wer nicht leistungsfähig ist, der hat keinen Anspruch auf volle Bürgerrechte.

Das Gewaltmonopol des Staates hat aber nicht nur den Vorteil der demokratischen Kontrolle. Es verhindert auch Konkurrenz. Und das ist richtig. Wenn private Detektive um Aufträge buhlen, ist das Risiko gross, dass sie sich gegenseitig mit einer möglichst hohen Erfolgsquote überbieten - notfalls zulasten von Unschuldigen.

Nun kann man argumentieren, Läden setzten schon lange eigene Detektive ein. Aber dieser Vergleich hinkt. Ladendetektive verfolgen ihre Zielpersonen nicht bis nach Hause. Sie dürfen nicht einmal die Personalien kontrollieren oder einen Blick in die Handtasche werfen, wenn ein Verdächtiger das nicht zulässt. Ganz anders die von Bern beschlossenen Versicherungsdetektive: Ihnen ist es sogar erlaubt, Menschen daheim, in ihrer eigenen Wohnung, zu observieren, sofern sie sich dabei auf öffentlichem Grund aufhalten.

Das will zwar auch der Kanton Zürich für die Sozialdetektive zulassen (während es die Stadt nur erlaubt, Verdächtige im Garten oder auf dem Balkon zu beobachten) - aber immerhin ist es eine staatliche Behörde, die den Auftrag dazu gibt. So ist ein Minimum an demokratischer Kontrolle möglich. Die Versicherungsdetektive hingegen erhalten ihre Aufträge unter anderem von Krankenkassen und Unfallversicherungen. Mit anderen Worten: von gewinnorientierten, privaten Unternehmen. Mehr noch - diese Unternehmen dürfen die Informationen, die sie über ihre Kunden haben, auch untereinander austauschen.

Und noch etwas unterscheidet die Detektive der Versicherungen massgeblich von jenen der Sozialhilfe: Letztere überprüfen nur, ob jemand schwarz arbeitet. Erstere aber sollen quasi mit dem Feldstecher abklären, ob eine medizinische Diagnose stimmt. Das geht in einem Rechtsstaat schlicht zu weit.

Wohlverstanden: Versicherungsbetrug ist nicht zu tolerieren. Es handelt sich dabei um einen Straftatbestand. Womit eigentlich auch klar ist, in wessen Hände die Aufklärung solcher Machenschaften gehört, nämlich in die Hände von Polizei und Justiz. Zumindest aber hat der Staat sicherzustellen, dass ein Gericht oder eine Behörde die Observation seiner Bürger anordnet. Notfalls muss dafür halt eine eigene Stelle geschaffen werden. Ja, das kostet. Aber so viel Geld sollten uns die Grundprinzipien des Rechtsstaats wert sein.

 

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