Elektronische ID: Nationalrat politisiert am Volk vorbei

27. Mai 2019

sda

Die Politik arbeitet an der Herausgabe des digitalen Ausweises. Ihr geplanter Weg passen Organisationen und der Bevölkerung nicht.

Die Wirtschaft ist in den Startlöchern für die Herausgabe eines digitalen Ausweises. Bundesrat und Parlament arbeiten derzeit an einem Gesetz, das ihnen das ermöglichen soll. Doch gemäss einer repräsentativen Umfrage möchten 87 Prozent der Stimmberechtigten, dass der Staat für die Ausgabe der elektronischen Identifizierung (E-ID) zuständig ist. Bei den jüngeren Befragten fiel die Zustimmung noch höher aus. Nur gerade 2 Prozent unterstützen dagegen die Lösung, dass private Unternehmen die elektronischen Ausweise herausgeben.

Genau das plant jedoch der Nationalrat. Er hat im letzten März beschlossen, dass der Bund nur die Identität einer Person prüfen und bestätigen soll. Die E-ID herausgeben sollen aber private Anbieter, sogenannten Identity Provider (IdP).

Dieses Konzept hatte der Bundesrat ausgearbeitet. Er verweist auf den raschen technologischen Wandel und der Vielfalt möglicher technischer Lösungen. Die Regierung ist überzeugt, dass der Bund nicht in der Lage wäre, die Träger der Identitätsangaben selbst zu entwickeln und herzustellen.

«Hoheitliche Aufgabe»

Nun formiert sich Widerstand gegen eine private E-ID. «Der Identitätsnachweis ist eine hoheitliche Aufgabe, der Staat kann diese nicht outsourcen», sagte Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS), am Montag vor den Medien in Bern. Die grossen Konsumentenschutzorganisationen haben sich mit der Digitalen Gesellschaft, dem Verein PublicBeta und der Plattform WeCollect zu einer Allianz zusammengeschlossen.

Die Gegner verlangen, dass der Ständerat die Vorlage in der Sommersession zur Überarbeitung an den Bundesrat zurückweist. Dessen vorberatende Kommission hat einen Rückweisungsantrag nur ganz knapp abgelehnt. Der Gesetzgeber müsse akzeptieren, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Ausweise nicht bei der Swisscom oder am Bankschalter beziehen wollten, sagte Stalder.

Unternehmen preschen vor

Mit der Lösung des Nationalrats zeichnet sich jedoch genau das ab. Rund um die SwissID von Post und SBB hat sich ein Konsortium gebildet, dem inzwischen 20 grosse Unternehmen angehören. Dazu gehören Swisscom, die Grossbanken CS, UBS, ZKB und Raiffeisen sowie die Versicherungen Axa, Baloise, CSS, Helvetia, Mobiliar, Swica, Swiss Life, Vaudoise und Zürich.

«Die Unternehmen haben bereits Fakten geschaffen, der Gesetzgeber hinkt hinterher», stellte die Konsumentenschützerin Stalder fest. Die Gegner der privatwirtschaftlichen E-ID befürchten, dass die Unternehmen die anfallenden Daten über Lebensgewohnheiten, Einkäufe und Gesundheit kommerzialisieren könnten. Es sei illusorisch zu glauben, dass sich die Datenverarbeitung kontrollieren lasse, sagte Stalder. Daran glaubt offenbar auch die Bevölkerung nicht: 75 Prozent der Befragten vertrauen beim Datenschutz dem Staat mehr als privaten Unternehmen.

Keine blosse «Shopping-Card»

Die Umfrage gibt auch Hinweise darauf, wofür der elektronische Ausweis eingesetzt werden soll. Als wichtigste Anwendungsgebiete werden in der Umfrage E-Government und die Ausübung der politischen Rechte genannt, gefolgt vom elektronischen Patientendossier und Online-Banking. Nur die Hälfte der Befragten nennt auch Einkäufe im Internet als mögliche Nutzung.

Bisher sei es immer um eine «Shopping-Card» gegangen, sagte Daniel Graf von der Digitalen Gesellschaft. Die Debatte über die Anwendungsmöglichkeiten sei aber gar nie geführt worden. Die Befragung zeige nun, dass der digitale Behördenkontakt und politische Partizipation ganz oben auf der Wunschliste der Nutzerinnen und Nutzer stünden.

Über 80 Prozent der Befragten möchten die E-ID zudem dafür nutzen können, rechtsverbindlich unterschreiben zu können. Diese Möglichkeit ist im aktuellen Gesetzesentwurf gar nicht vorgesehen.

Der Alltag ist digital

Der Bedarf nach einer E-ID ist für die Gegner einer privaten Lösung unbestritten. Der Alltag der Konsumentinnen und Konsumenten sei längst digital, sagte Stalder. Ihrer Meinung nach braucht es dringlich eine Schweizer Regelung. Es bestehe die Gefahr, dass sonst die internationalen Tech-Giganten ihre eigenen Lösungen durchsetzten, sagte Stalder.

Weil eine Abstimmung zu Verzögerungen führen würde, halten sich die Gegner mit Referendumsdrohungen zurück. Die Allianz lässt die Frage offen, ob sie Unterschriften sammeln würde, falls der Ständerat der Lösung des Nationalrats zustimmt. Die repräsentative Umfrage ist vom Marktforschungsinstitut Demoscope durchgeführt worden. In der Erste Mai-Hälfte wurden 973 Stimmberechtigte befragt. Der Fehlerbereich liegt bei /- 5 Prozent. Auftraggeber ist der Verein PublicBeta.

 

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