Schnüffelstaat III: Und das Fichieren geht weiter

«Wetten, dass der Geheimdienst die Klimabewegung überwacht!»

29. November 2019

Pa­tri­cia D'In­cau, Work

Nach dem Fi­chen­skan­dal von 1989 fi­chiert der Ge­heim­dienst mun­ter wei­ter. Ca­the­ri­ne We­ber vom Ver­ein Grund­rech­te Schweiz weiss auch, wie.

work: Ca­the­ri­ne We­ber, war­um ha­ben Sie kein Han­dy?

Ca­the­ri­ne We­ber: Ich kann und will nicht im­mer und über­all er­reich­bar sein. Und es lebt sich her­vor­ra­gend so.

Es hat nicht et­wa da­mit zu tun, dass 1989 der Fi­chen­skan­dal auf­flog und Sie er­fuh­ren, dass Sie vom Ge­heim­dienst il­le­gal über­wacht wur­den?

Na­tür­lich hat mich die­se Er­fah­rung ge­prägt. Ich ha­be kei­ne Lust, mei­ne Da­ten frei­wil­lig und un­frei­wil­lig zu hin­ter­las­sen. Und ja: Nach 1989 wuss­ten wir, dass der Ge­heim­dienst Te­le­fo­ne ab­hört. Da­mals so­gar noch ganz oh­ne ge­setz­li­che Grund­la­ge. Das hat mich schon sen­si­bi­li­siert, auf all die Fra­gen: Was für Da­ten hin­ter­las­se ich ei­gent­lich? Wer hat Zu­gang da­zu, und was pas­siert da­mit?

Sie woll­ten kürz­lich vom Ge­heim­dienst wis­sen, ob er Ih­ren Ver­ein Grund­rech­te Schweiz über­wacht. Was ha­ben Sie als Ant­wort er­hal­ten?

Ein di­ckes Cou­vert mit vie­len un­ge­schwärz­ten und ge­schwärz­ten Pa­pie­ren. Der Ge­heim­dienst hat in sei­nen Da­ten­ban­ken sei­ten­wei­se In­for­ma­tio­nen über uns ge­spei­chert. Das hat mich rich­tig häs­sig ge­macht. Denn sie ma­chen wie­der ge­nau das, was sie gar nicht dürf­ten.

Es wird al­so schon wie­der il­le­gal fi­chiert?

Im Ge­setz heisst es ganz klar: Der Ge­heim­dienst darf nur Da­ten sam­meln, die et­wa mit mög­li­chem Ge­wal­tex­tre­mis­mus, mit Ter­ro­ris­mus oder mit Spio­na­ge in Ver­bin­dung ste­hen. Nicht ge­spei­chert wer­den darf, was mit le­ga­len po­li­ti­schen Tä­tig­kei­ten zu tun hat. In un­se­rem Dos­sier sind aber rei­hen­wei­se Me­di­en­mit­tei­lun­gen von uns und Me­di­en­be­rich­te über uns ab­ge­legt. Aus­ser­dem Schrei­ben, mit de­nen wir an der Ver­nehm­las­sung von Ge­set­zen teil­ge­nom­men ha­ben. Das ist ei­ne de­mo­kra­ti­sche Mit­wir­kung und hat in ei­ner Ge­heim­dienst-Da­ten­bank nichts zu su­chen. Im Cou­vert wa­ren auch Do­ku­men­te, bei de­nen wir kei­ne Ah­nung ha­ben, war­um sie in un­se­rem Dos­sier sind. Sie heis­sen «La­ge­be­richt» oder «Ta­ges­la­ge», sind als ge­heim de­kla­riert und gröss­ten­teils ge­schwärzt. Da ist aber die Re­de von «all­ge­mei­ner Be­dro­hungs­la­ge», und un­ser Ver­ein ist ver­merkt. Wie das pas­sie­ren konn­te, wis­sen wir nicht.

Über­wacht denn nie­mand die Über­wa­cher?

Die obers­te Auf­sicht hat die Ge­schäfts­prü­fungs­de­le­ga­ti­on (GPDel). Dort sit­zen Ver­tre­te­rin­nen aus dem Na­tio­nal- und Stän­de­rat. Ih­re Auf­ga­be ist es zu kon­trol­lie­ren, dass sich der Ge­heim­dienst an die ge­setz­li­chen Vor­ga­ben hält. Nur: Die GPDel hat we­nig Zeit und auch kei­ne IT-Spe­zia­lis­ten zur Sei­te, die es brauch­te, um die­se Da­ten­ban­ken wirk­lich zu durch­bli­cken. Der Nach­rich­ten­dienst hat zwar auch ei­ge­ne, in­ter­ne Kon­troll­me­cha­nis­men. Aber: 2012 hat ein Ge­heim­dienst­ler pro­blem­los ton­nen­wei­se Da­ten nach Hau­se ge­nom­men und woll­te sie ver­kau­fen.

Es gibt auch kan­to­na­le Ge­heim­dienst­ab­tei­lun­gen und Auf­sichts­be­hör­den. In Ba­sel sass dort zu­letzt Ex-SP-Stän­de­rä­tin Ani­ta Fetz. Sie er­fuhr im Früh­ling, dass der Ge­heim­dienst sie fi­chiert hat, weil sie an ei­nem An­lass in ei­nem kur­di­schen Ver­eins­lo­kal war. Die Schnüff­ler ma­chen of­fen­bar nicht ein­mal vor ih­ren Kon­trol­leu­rin­nen Halt …

So ist es. Ne­ben Fetz traf es SP-Na­tio­nal­rä­tin Mar­g­ret Kie­ner-Nel­len und SP-Na­tio­nal­rat Cédric Wer­muth. Sie al­le sind in den Da­ten­ban­ken des Ge­heim­diens­tes ge­lan­det. Auch über die Grü­ne Par­tei, die Ju­so und die Al­ter­na­ti­ve Lis­te gibt es Fi­chen. Je­de Wet­te, dass auch die Kli­ma­be­we­gung über­wacht wird! Und: 2003 traf es so­gar die da­ma­li­ge Bun­des­rä­tin Mi­che­li­ne Cal­my-Rey. Als Aus­sen­mi­nis­te­rin war sie an ei­ner in­ter­na­tio­na­len Kon­fe­renz in Lau­sanne. Dort wur­de sie von ei­nem Kur­den an­ge­spro­chen. Der tür­ki­sche Ge­heim­dienst mel­de­te dar­auf dem Schwei­zer Nach­rich­ten­dienst, Cal­my-Rey ha­be mög­li­che Ver­bin­dun­gen zu «Ter­ro­ris­ten». Und der hat das tat­säch­lich fi­chiert.

1989 hat­te der Ge­heim­dienst vor al­lem Lin­ke, Ge­werk­schaf­ter und Aus­län­de­rin­nen im Vi­sier. Ist das heu­te noch so?

Ge­nau wis­sen wir das nicht. Bei den Mi­gran­tin­nen und Mi­gran­ten bin ich mir aber si­cher. Sie stan­den auf der Fein­des­lis­te schon im­mer ganz oben. Klar ist auch: Der Ge­heim­dienst hat vie­le Men­schen auf dem Ra­dar. 2010 hat­te er schon wie­der 200,000 Per­so­nen fi­chiert. Dass so vie­le mit ge­walt­tä­ti­gem Ex­tre­mis­mus oder Ter­ro­ris­mus in Ver­bin­dung ste­hen sol­len - das ist ein­fach nicht mög­lich. Die GPDel be­fahl dem Nach­rich­ten­dienst dann auch, Da­ten zu lö­schen. Wie vie­le heu­te noch re­gis­triert sind, ist nicht be­kannt.

War­um hat der Fi­chen­skan­dal die Schnüf­fe­lei ei­gent­lich nicht ge­stoppt?

Die Em­pö­rung in der Be­völ­ke­rung war da­mals gross. Un­ter an­de­rem, weil oh­ne ge­setz­li­che Grund­la­ge fi­chiert wur­de. Das Par­la­ment hat des­halb dann das so­ge­nann­te Staats­schutz­ge­setz auf­ge­gleist. Im­mer­hin ha­ben sie sich da noch nicht ge­traut, die Te­le­fon­über­wa­chung zu­zu­las­sen. Als dann 2001 die An­schlä­ge in New York ge­scha­hen, dach­te man wohl: Jetzt hat si­cher nie­mand mehr et­was da­ge­gen. Und so kam es, dass der Nach­rich­ten­dienst im­mer mehr aus­ge­stat­tet wur­de.

Der letz­te gros­se Aus­bau pas­sier­te 2016 mit dem Nach­rich­ten­dienst­ge­setz (NDG).

Da­mit hat der Ge­heim­dienst al­le Kom­pe­ten­zen be­kom­men, die er sich er­träu­men konn­te. Jetzt darf er in Woh­nun­gen ein­bre­chen und Wan­zen in­stal­lie­ren. Er kann Tro­ja­ner in Com­pu­ter ein­schleu­sen und mit­le­sen, was wir da so schrei­ben. Die Ge­heim­dienst­ler kön­nen mei­nen gan­zen In­ter­net­ver­kehr von aus­sen kon­trol­lie­ren. Und mit so­ge­nann­ten IM­SI-Cat­chern Han­dys or­ten. Je nach­dem wer­den da Hun­der­te Men­schen, die per Zu­fall in der Nä­he sind, mit­re­gis­triert. Und: All die­se Da­ten kom­men in ei­nen Topf, und nie­mand weiss, was mit die­sem Topf pas­siert. Zwar braucht es je nach Mass­nah­me ei­nen rich­ter­li­chen Be­schluss. Aber es gibt wohl kei­nen Rich­ter, der den Mut hat zu sa­gen: Das kommt nicht in Fra­ge. Der sagt eher: Macht mal. Und wenn nichts ist, kön­nen die Da­ten ja im­mer noch ge­löscht wer­den. Ob das dann pas­siert, ist die an­de­re Fra­ge.

Trotz­dem sa­gen vie­le: «Soll mich der Ge­heim­dienst doch aus­spio­nie­ren, ich ha­be ja nichts zu ver­ber­gen.» Was ant­wor­ten Sie da?

Das ist der al­te Spruch. Den keh­re ich um und sa­ge: Wenn ich nichts zu ver­ber­gen ha­be, dann hat mich der Ge­heim­dienst auch nicht zu über­wa­chen.

 

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