«Blosses Gaffen» ist nicht Landfriedensbruch

23. Oktober 2012

In der Nacht vom 17. auf den 18. Sep­tem­ber 2011 war ei­ne il­le­ga­le Par­ty in der Zür­cher In­nen­stadt in ge­walt­tä­ti­ge Aus­schrei­tun­gen mit ei­nem Sach­scha­den von rund 200,000 Fran­ken aus­ge­ar­tet. Rund 90 Per­so­nen wur­den fest­ge­nom­men und 20 da­von in Un­ter­su­chungs­haft ge­setzt. 31 Ju­gend­li­che wur­den von den zu­stän­di­gen Staats- und Ju­gend­an­wäl­ten per Straf­be­fehl ver­ur­teilt - die über 18-Jäh­ri­gen mit Geld­stra­fen zwi­schen 120 und 180 Ta­ges­sät­zen. Di­ver­se die­ser Straf­be­feh­le wur­den an­ge­foch­ten. Im Rah­men der Fahn­dung nach mög­li­chen Tä­tern wur­den auch Bil­der von 15 Per­so­nen ins In­ter­net ge­stellt.

Meh­re­re Frei­sprü­che

Meh­re­re Be­schul­dig­te wur­den vom Be­zirks­ge­richt Zü­rich frei­ge­spro­chen:

Ei­nem 19- jäh­ri­gen Lehr­ling wur­de von der Staats­an­walt­schaft vor­ge­wor­fen, sich an den schwe­ren Aus­schrei­tun­gen am Zür­cher Cen­tral be­tei­ligt zu ha­ben. Der Sa­ni­tär­in­stal­la­teur war am frü­hen Mor­gen des 18. Sep­tem­ber bei der Wal­che­brü­cke in der Zür­cher In­nen­stadt zu­sam­men mit zahl­rei­chen an­de­ren Per­so­nen fest­ge­nom­men wor­den. Der Mann be­zeich­ne­te sich als un­schul­dig und er­klär­te, dass er in der Kra­wall­nacht, in der un­ter an­de­rem Schau­fens­ter­schei­ben zu Bruch gin­gen und Au­tos be­schä­digt wur­den, bloss sei­ne Freun­din be­sucht ha­be. Die Staats­an­walt­schaft Zü­rich-Lim­mat er­hob An­kla­ge und ver­lang­te für den nicht Vor­be­straf­ten ei­ne be­ding­te Geld­stra­fe von 120 Ta­ges­sät­zen zu 30 Fran­ken so­wie ei­ne Bus­se von 800 Fran­ken. Der An­ge­schul­dig­te be­teu­er­te vor Ge­richt, er ha­be be­wusst Ab­stand zu den Kra­wal­lan­ten ge­hal­ten. Er sei in ei­nem Fast­food-Re­stau­rant beim Haupt­bahn­hof ge­we­sen, als er ei­ne SMS von sei­ner Freun­din be­kom­men ha­be. Da­nach sei er be­sorgt in Rich­tung Wal­che­brü­cke auf­ge­bro­chen. Dort ha­be man ihn fest­ge­nom­men. Ge­mäss dem zu­stän­di­gen Ein­zel­rich­ter ge­be es kei­ne Be­wei­se, dass der Lehr­ling ein Teil der Tä­ter­grup­pe ge­we­sen sei. Für den ei­nen Tag, den er in Haft ver­brach­te, er­hielt er ein Schmer­zens­geld von 300 Fran­ken zu­ge­spro­chen.

Auch zwei an­de­re Gaf­fer bei den Cen­tral-Kra­wal­len klag­te die Staats­an­walt­schaft an. Die Ge­ständ­nis­se der Män­ner reich­ten aber nicht aus, um sie zu ver­ur­tei­len.

Nach­dem er schon im De­zem­ber 2011 vom Be­zirks­ge­richt Zü­rich man­gels Be­wei­sen frei­ge­spro­chen wur­de, be­stä­tig­te das Ober­ge­richt am 19. Ju­ni 2012 den erst­in­stanz­li­chen Frei­spruch. Un­be­tei­lig­te Zu­schau­er und Gaf­fer hät­ten sich bei den Kra­wal­len nicht straf­bar ge­macht, sag­te der Ge­richts­vor­sit­zen­de. Es sei nicht zu wi­der­le­gen, dass der Lehr­ling nur als zu­fäl­li­ger Be­ob­ach­ter vor Ort ge­we­sen sei. Das Ge­richt sprach ihm ei­ne Pro­zes­s­ent­schä­di­gung von 2500 Fran­ken zu. Für die zwei Ta­ge Un­ter­su­chungs­haft, die er ab­sass, er­hält er zu­dem 300 Fran­ken.

Der 24-jäh­ri­ge Stu­dent, der vom Be­zirks­ge­richt Zü­rich noch zu ei­ner be­ding­ten Geld­stra­fe und ei­ner Bus­se ver­ur­teilt wor­den war, kam vor Ober­ge­richt eben­falls mit ei­nem Frei­spruch da­von. Kei­ne Zeu­gen oder Film­auf­nah­men hät­ten ihn be­las­tet, hiess es. Die Ober­rich­ter stuf­ten das ers­te Ge­ständ­nis bei der Haft­ein­ver­nah­me als we­nig glaub­wür­dig ein. Auch bei ihm schloss das Ober­ge­richt nicht aus, dass er die Er­eig­nis­se bloss als Zu­schau­er mit­ver­folgt hat­te. Der Stu­dent er­hielt ei­ne Pro­zes­s­ent­schä­di­gung von über 7800 Fran­ken und 300 Fran­ken Schmer­zens­geld.

Staats­an­walt­schaft zieht Be­ru­fung ge­gen ei­nen 19-jäh­ri­gen Gaf­fer zu­rück

Die Zür­cher Staats­an­walt­schaft hat die Be­ru­fung ge­gen ei­nen 19-jäh­ri­gen Gaf­fer kurz vor der Ver­hand­lung über­ra­schend zu­rück­ge­zo­gen. Dies teil­te das Ober­ge­richt am 23. Ok­to­ber 2012 mit.

Das Be­zirks­ge­richt hat­te den Schü­ler im Fe­bru­ar 2012 frei­ge­spro­chen. Er hät­te sich we­gen Land­frie­dens­bruchs vor dem Ober­ge­richt ver­ant­wor­ten sol­len. Laut An­kla­ge war er in der Nacht auf den 17. Sep­tem­ber 2011 «Teil der öf­fent­li­chen Zu­sam­men­rot­tung, in­dem er sich län­ge­re Zeit in de­ren un­mit­tel­ba­rer Nä­he auf­hielt». Er sei zu­dem bei der Wal­che­brü­cke mit an­de­ren zu­sam­men durch Po­li­zei­kräf­te ein­ge­kes­selt wor­den. Die Staats­an­walt­schaft for­der­te ei­ne be­ding­te Geld­stra­fe von 180 Ta­ges­sät­zen zu 30 Fran­ken so­wie ei­ne Bus­se von 1400 Fran­ken. Der Ver­tei­di­ger ver­lang­te be­reits im Fe­bru­ar vor Be­zirks­ge­richt ei­nen Frei­spruch. Sei­nen Kli­en­ten be­zeich­ne­te er als blos­sen Gaf­fer, der auf den Po­li­zei­vi­de­os als un­in­ter­es­sier­te und un­be­tei­lig­te Per­son wir­ke. Es ge­he nicht an, den Vor­wurf des Land­frie­dens­bruchs auf ei­nen nicht vor­han­de­nen «Gaf­fer­tat­be­stand» aus­zu­wei­ten, ar­gu­men­tier­te der Ver­tei­di­ger. Psy­chi­sche Ge­hil­fen­schaft rei­che für ei­nen Schuld­spruch oh­ne­hin nicht aus. Das Be­zirks­ge­richt folg­te die­sen Ar­gu­men­ten und sprach den jun­gen Mann frei. Es sei nicht aus­zu­schlies­sen, dass bei den Kra­wal­len auch un­schul­di­ge Per­so­nen ein­ge­kes­selt und ver­haf­tet wor­den sei­en, be­grün­de­te das Ge­richt den Ur­teils­spruch. Wer bloss zu­se­he, ma­che sich nicht straf­bar. Für die 16 Ta­ge Haft er­hielt der Zür­cher Gym­na­si­ast ein Schmer­zens­geld von 3200 Fran­ken. Da­zu kam ei­ne Pro­zes­s­ent­schä­di­gung von 6590 Fran­ken. Mit dem über­ra­schen­den Rück­zug der Staats­an­walt­schaft wird der Ent­scheid des Be­zirks­ge­richts nun rechts­kräf­tig.

Auch im Um­feld von Sport­ver­an­stal­tun­gen wer­den zu­neh­mend Straf­be­feh­le im Mul­ti­pack ver­teilt, wel­che an­schlies­send vor Ge­richt kei­nen Be­stand ha­ben.

 

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