Der Beweis: Die USA spionierten in der Schweiz

1. Dezember 2013

Von Sal­va­dor Ata­soy, Sonn­tags Zei­tung

GENF Lang wur­de spe­ku­liert. Nun ist klar: Die USA lies­sen auf Schwei­zer Bo­den spio­nie­ren. Über Jah­re. Un­ter Miss­ach­tung der Schwei­zer Ge­set­ze. Und ge­gen di­rek­te An­wei­sun­gen des Bun­des­ra­tes. Das zei­gen Do­ku­men­te, die der Sonn­tags­Zei­tung vor­lie­gen. Von 2005 an - und mög­li­cher­wei­se bis heu­te - ob­ser­vier­ten Agen­ten in Genf Kon­su­la­te, Mis­sio­nen und UNO-Ein­rich­tun­gen im Um­kreis von ei­nem Ki­lo­me­ter zur US-Mis­si­on. Nun re­agiert die Bun­des­an­walt­schaft. Am Don­ners­tag hat sie ein Straf­ver­fah­ren er­öff­net (s. Kas­ten).

Die US-Re­gie­rung schrieb den Auf­trag 2005 aus. On­line, für je­den ein­seh­bar. Ge­sucht wur­den «Si­cher­heits­spe­zia­lis­ten» für die US-Mis­si­on in Genf. «Wer et­was vom Fach ver­steht, dem war klar, dass es hier um Er­mitt­lungs­ar­beit auf Schwei­zer Bo­den geht», sagt ein Bran­chen­in­si­der im Ge­spräch mit der Sonn­tags­Zei­tung. Die Ar­beits­in­struk­tio­nen sei­en der­art de­tail­liert, dass sie ein gan­zes Ring­buch füll­ten. Und sie ver­sties­sen rei­hen­wei­se ge­gen Schwei­zer Ge­set­ze - et­wa ge­gen Ar­ti­kel 271: «Ver­bo­te­ne Hand­lun­gen für ei­nen frem­den Staat.»

Die Sui­te 911 am Crys­tal Dri­ve in Ar­ling­ton ist be­rüch­tigt

Schon die Fi­nan­zie­rungs­strö­me ma­chen klar, wor­um es geht. Be­zahlt wur­de der Auf­trag über ei­ne Fir­ma in ei­nem Bü­ro­hoch­haus in Ar­ling­ton, Vir­gi­nia. Über die Adres­se am Crys­tal Dri­ve lau­fen gros­se Rüs­tungs­auf­trä­ge. Al­lein die Sui­te 911 im 9. Stock ver­gab seit den An­schlä­gen vom 11. Sep­tem­ber 2001 Auf­trä­ge im Wert von mehr als 50 Mil­li­ar­den Dol­lar. Sui­te 911 ist in Ge­heim­dienst­krei­sen be­rüch­tigt. Von hier aus fi­nan­zie­ren die USA welt­weit Über­wa­chungs- und Spio­nage­mis­sio­nen. Auch in der Schweiz.

Von Ar­ling­ton führt die Spur nach Ca­rouge bei Genf. Ver­steckt zwi­schen Wohn­blö­cken liegt das Bü­ro ei­ner Si­cher­heits­fir­ma. Rund ei­ne Mil­li­on Dol­lar zahl­ten die Ame­ri­ka­ner pro Jahr für die Spio­na­ge­diens­te, das be­le­gen die US-Ver­trä­ge, die der Sonn­tags­Zei­tung vor­lie­gen. Die Re­gie­rungs­do­ku­men­te tra­gen den Ver­merk «In­tel­li­gence Ser­vices» - Ge­heim­dien­st­ar­beit.

Die Sonn­tags­Zei­tung hat mit zwei Ex-Agen­ten der Fir­ma ge­spro­chen: Mit Ja­ne* und John Doe*. Von 2006 bis 2011 wa­ren sie im Auf­trag der Ame­ri­ka­ner auf Schwei­zer Bo­den ak­tiv. Sie er­zäh­len, wie sie Kon­su­lats- und UNO-Ge­bäu­de, Bun­des­ein­rich­tun­gen und in­ter­na­tio­na­le Or­ga­ni­sa­tio­nen ob­ser­vier­ten. «Wir nen­nen das klas­si­sche Er­mitt­lungs­ar­beit», so Ja­ne. Acht Per­so­nen um­fass­te das so­ge­nann­te Sur­veil­lan­ce De­tec­tion Team (SDT). «Aus­ge­rüs­tet wa­ren wir mit Vi­deo­ka­me­ras, Auf­nah­me­ge­rä­ten und Funk», er­gänzt John. Un­ter an­de­rem hät­ten sie in Zi­vil «Men­schen, Au­tos und Ge­bäu­de in ei­nem Um­kreis von ei­nem Ki­lo­me­ter zur US-Mis­si­on» be­schat­tet und ab­ge­hört. «Aus­ge­rüs­tet mit Au­tos, Scoo­tern und Tram­ti­ckets», sagt Ja­ne. «Was tut sich bei an­de­ren Be­hör­den? Wer ge­hört nicht in die Ge­gend, wer ver­hält sich auf­fäl­lig?»

Ih­re Er­geb­nis­se mel­de­ten sie ins In­ne­re der US-Mis­si­on. «Dort wur­den wei­te­re Ab­klä­run­gen ge­trof­fen, et­wa Back­ground-Checks. Aber da wur­de un­ser Team nicht mehr ran­ge­las­sen», sagt John. Die Da­ten lan­de­ten nach In­for­ma­tio­nen der Sonn­tags­Zei­tung in rie­si­gen Da­ten­ban­ken. Un­ter an­de­rem in Si­mas, ei­nem Ana­ly­se­sys­tem der US-Nach­rich­ten­diens­te. In die­sem glo­ba­len Fi­chen­netz­werk dürf­ten auch meh­re­re Tau­send Schwei­zer re­gis­triert sein.

Die Ver­stös­se ge­gen Schwei­zer Recht sind gra­vie­rend. Das zeigt das ein­ge­lei­te­te Straf­ver­fah­ren der Bun­des­an­walt­schaft. Im Zen­trum steht Ar­ti­kel 271 - «Ver­bo­te­ne Hand­lun­gen für ei­nen frem­den Staat». Hier muss der Bun­des­rat ent­schei­den, ob die Bun­des­an­walt­schaft er­mit­teln darf. Ein ent­spre­chen­des Ge­such hat die Bun­des­an­walt­schaft am Frei­tag ge­stellt.

Den Ame­ri­ka­nern muss klar ge­we­sen sein, dass sie ge­gen Schwei­zer Ge­set­ze ver­sties­sen. 2006 ver­such­ten sie, das SDT per Ge­such beim Bun­des­rat zu le­ga­li­sie­ren. Be­wil­ligt wer­den soll­te ein Team in der Nä­he der US-Bot­schaft, das ver­däch­ti­ge Er­eig­nis­se im Zu­sam­men­hang mit mög­li­chen Ter­ror­an­schlä­gen mel­det. 2007 wie­der­hol­ten sie die Ein­ga­be. Der Bun­des­rat lehn­te bei­de Ge­su­che mit dem Hin­weis auf «man­geln­de ge­setz­li­che Grund­la­ge» ab. Da wa­ren Ja­ne und John längst im Ein­satz.

In der Fol­ge­zeit liess der Bund die Si­tua­ti­on mehr­mals vor Ort von der Kan­tons­po­li­zei Genf über­prü­fen. Das be­stä­tigt das Bun­des­amt für Po­li­zei (Fed­pol). Da­bei wur­den «kei­ne ent­spre­chen­den Ak­ti­vi­tä­ten fest­ge­stellt, die be­wil­li­gungs­pflich­tig wä­ren». Ja­ne und Joe blie­ben un­ent­deckt. Ab 2010 be­fass­te sich die Ge­schäfts­prü­fungs­de­le­ga­ti­on des Bun­des mit dem SDT. Auch hier lau­te­te das Re­sul­tat: «Es be­steht kein wei­te­rer Hand­lungs­be­darf», die Schwei­zer Re­gie­rung ha­be die USA ja be­reits in­for­miert.

«Un­se­re Ent­las­sung muss nichts heis­sen»

2010 schreibt das Fed­pol: «Im Herbst 2010 gab es Hin­wei­se, dass die US-Mis­si­on in Genf ein neu­es Ob­ser­va­ti­ons­er­ken­nungs­pro­gramm un­ter­hält.» Von «neu» kön­ne kei­ne Re­de sein, sa­gen Ja­ne und John Doe. «Es blieb al­les beim Al­ten.» Das zei­gen auch die Ver­trä­ge.

Im Mai 2011 re­agier­te das Aus­sen­de­par­te­ment. In den Wor­ten des Fed­pol: «Die Schweiz hat bei den ent­spre­chen­den US-Aus­sen­stel­len in­ter­ve­niert, auf die Gül­tig­keit der ab­leh­nen­den Ent­schei­de von 2007 ver­wie­sen und die Ein­stel­lung all­fäl­li­ger Ak­ti­vi­tä­ten ge­for­dert.» Mit­ge­teilt wur­de dies mit­tels Di­plo­ma­ti­scher No­te. Ob und wel­che Be­wei­se die Schwei­zer Be­hör­den für das Pro­gramm der Ame­ri­ka­ner hat­ten, ist nicht be­kannt. Ent­spre­chen­de An­fra­gen blie­ben un­be­ant­wor­tet.

Die di­plo­ma­ti­sche No­te zeig­te üb­ri­gens Wir­kung, wie Ja­ne und John Doe be­stä­ti­gen. «Wir wur­den so­fort ent­las­sen.» Doch das müs­se nichts heis­sen. Die Tak­tik sei be­kannt. «Es kann gut sein, dass die USA den Auf­trag ein­fach neu ver­ge­ben ha­ben.»

 

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