«Ich sorge mich um die Zukunft der Sicherheit in diesem Land»

11. November 2012, «Sonntag»

Armeechef André Blattmann über heikle Aussagen in Brüssel, Terrorgefahr und das Militärbudget

Othmar von Matt

Herr Blattmann, Sie wollen mehr Geld und Sie rüsten sich für soziale Unruhen in Europa. Sind Sie eine Kriegsgurgel?

André Blattmann: Das ist total falsch. Ich sorge mich einfach um die Zukunft der Sicherheit in diesem Land. Sieht man sich ausserhalb der Schweiz um, ist die Entwicklung nicht wirklich vielversprechend.

Wie beurteilen Sie aufgrund Ihrer Ausland-Kontakte die Situation?

Es gibt beängstigende Signale, was die Sahel-Zone betrifft. Offenbar ziehen Terrororganisationen aus Pakistan und Afghanistan Richtung Nordafrika. Damit sind sie plötzlich deutlich näher bei uns.

Das könnte geschehen?

Man muss befürchten, dass in den Migrationsströmen nach Europa auch Personen aus dem Terrorbereich sind.

Die Terroristen sind in der Sahelzone?

Ich befürchte, dass dies der Fall ist.

Betrifft dies auch tunesische Flüchtlingsströme?

Das kann ich nicht explizit bestätigen. In Europa gibt es aber Vorstädte, in denen Zehntausende Menschen aus Mali leben. Die faktische Zweiteilung Malis führte zu Migrationsströmen, und die meisten Migranten sind gut integriert. Mit ihnen reisen aber möglicherweise auch Leute aus dem Terrorbereich ein.

Und was heisst das für die Schweiz?

Gerade französisch sprechende Personen kommen auch in die Westschweiz. Das heisst aber keineswegs, dass wir Flüchtlinge für potenzielle Terroristen halten. Man darf aber neben den Flüchtlingsströmen auch andere Entwicklungen nicht unterschätzen.

Welche?

In Libyen fehlen noch immer viele Waffen. Darunter Waffen, die auch in unserem Umfeld eingesetzt werden könnten.

Die Terrorgefahr hat sich für die Schweiz massiv erhöht?

Sie ist für die ganze westliche Hemisphäre wieder konkreter geworden. Auch die Schweiz ist Teil davon, obwohl wir versuchen, uns nicht einzumischen.

Ihr Vortrag vor der Handelskammer Belgien-Schweiz in Brüssel sorgte für Aufsehen. Was sagten Sie wirklich?

Dass wir in Europa mit allen Ländern freundschaftliche Beziehungen haben, auch freundschaftliche militärische Beziehungen. Dass aber die Verschuldungskrise zurzeit das wichtigste Element sei. Sie könne destabilisierend wirken, und das sei das Schlimmste für den Courant normal und die wirtschaftliche Entwicklung. Und ich sagte auch, dass die Armee in der Schweiz kritische Infrastrukturen schützen werde, sollte das nötig sein.

In Brüssel ist man empört über Ihre Aussagen, wie ein Bericht der «Tagesschau» zeigt. Was sagen Sie dazu?

Ich bedaure, dass deswegen Unstimmigkeiten entstanden. Das war nie mein Ziel. Ich bin aber überzeugt, dass es nötig ist, solche Szenarien durchzudenken, um bereit zu sein, falls etwas passiert. Ich hoffe natürlich, dass kein solches Szenario eintrifft, und ich will es auch keineswegs herbeireden. Aber es geht um Risikomanagement. Wir sollten es miteinander angehen, es sachlich betrachten. Das hilft allen.

Welche weiteren Risiken sehen Sie?

Für die westliche Hemisphäre ist die Entwicklung in Ostasien heikel. Dort wird um Öl und um Verbindungswege gekämpft. Zudem werden dort die Rüstungsbudgets massiv angehoben. Dazu kommt Syrien. Dort existieren beträchtliche Chemiewaffenlager. Das muss uns beunruhigen.

Die Gewerkschaften sind beunruhigt, dass sich die Armee für soziale Unruhen in Europa wappnet. Sie fühlen sich an Genf 1932 erinnert. Vor 80 Jahren gab es bei einer Demo 13 Tote und 65 Verletzte, als die Armee einschritt.

Unsere Armee kommt grundsätzlich immer im Innern zum Einsatz, führt keinen Krieg im Ausland. Für mich ist aber völlig klar, dass sie nicht gegen Demonstrationen im Innern eingesetzt wird. Auch mein Chef, Bundesrat Ueli Maurer, denkt so. Wir sind da für den Schutz von Land und Leuten.

Sie können es ausschliessen, dass sich Genf wiederholt?

Ja. Davon bin ich fest überzeugt. Unsere Milizsoldaten würden bei so etwas zum Glück gar nicht mitmachen. Das sind aufgeklärte Staatsbürger. Schützen wir etwa kritische Infrastrukturen wie den Flughafen Kloten, machen Soldaten zum Beispiel Zutrittskontrollen.

Mit geladenen Gewehren?

Ja. Aber nur zum eigenen Schutz. Es geht um Notwehr und Notwehrhilfe. Es ist für mich ausgeschlossen, dass wir gegen eine Demonstration eingesetzt würden. Ausgeschlossen.

Eine sehr klare Aussage.

Sie ist eindeutig.

Sie wollen aber die Militärpolizei deutlich aufstocken.

Erstens haben wir heute 545 Profis. Wir wollen sicherstellen, dass diese genau gleich ausgebildet werden wie die zivile Polizei. Zweitens wollen wir vier Militärpolizei-Bataillone mit je 424 Milizsoldaten zum Schutz von kritischen Infrastrukturen aufbauen. Diese sollen nach dem Prinzip der zivilen Sicherheitsassistenten ausgebildet werden. Und dabei lernen sie, dass der Einsatz der Waffe das allerletzte Mittel ist.

Sind diese Pläne gefährdet, weil Sie vielleicht nur 4,4 statt wie geplant 5 Milliarden zur Verfügung haben?

Gemäss den Vorgaben des Parlaments erarbeiteten wir die Armee für 5 Milliarden und 100000 Soldaten. Darin sind die vier Militärpolizei-Bataillone enthalten. Vor kurzem lieferte ich Bundesrat Maurer auch die Sparvariante gemäss den Vorgaben der Regierung ab: für 4,4 Milliarden plus 300 Millionen für das neue Kampfflugzeug. Das sollte bald dem Bundesrat unterbreitet werden.

Um die Kosten gibt es ein Hickhack zwischen Parlament und Regierung.

Wir zeigen in drei Varianten auf, was wir mit 4,4 Milliarden plus 300 Millionen für den Kampfjet noch leisten können. Der Bundesrat kann nun entscheiden. Weniger Kampfmittel haben Auswirkungen auf die Beschaffung, ein anderes Ausbildungssystem Folgen auf die Zahl der Diensttage und benötigter Kasernen. Spätere Beschaffungen von Systemen heisst weniger Infrastrukturen.

Sind das Varianten, die Sie aufzeigen?

Das sind Richtungen, in die es gehen könnte.

Maurer sagte Drastisches: Man müsse eventuell auf Panzer oder Jets verzichten. Macht er so bewusst Druck?

Natürlich sind das klare Aussagen. Das ist aber nicht einfach Taktik. Sondern der ehrliche Ansatz. Es geht um einen politischen Grundsatzentscheid für die Zukunft. Die Politik hat nun alle Unterlagen dafür auf dem Tisch.

Teile der Wirtschaft stehen der Armee wieder näher als auch schon. Weshalb?

Erstens, weil wir auf sie zugehen. Zweitens ist Sicherheit in diesen unstabilen Zeiten wieder sehr viel wichtiger geworden. Und drittens haben unsere Werte in der Wirtschaft neue Bedeutung gewonnen. Die Abzocker-Mentalität kommt nicht mehr gut an. Heute gilt seriöse Arbeit wieder etwas. Die Armee fördert diese Werte: Arbeit, Leistungsbereitschaft, Ausdauer, Durchhalten, Disziplin, Zuverlässigkeit. Auch deshalb vergibt die HSG in St. Gallen neu ECTS-Punkte für Offiziere und Unteroffiziere!

Hat die Armee auch in der Bevölkerung wieder an Prestige gewonnen?

Die ETH-Studie «Sicherheit» zeigt, dass die Armee hier heute auf einem höheren Niveau ist als in den letzten zwanzig Jahren. Das hängt mit Einsätzen zusammen. In der Innerschweiz hatte sie die höchste Akzeptanz, als sie 2005 nach dem Unwetter half. Unsere Armee ist inzwischen klein, man sieht sie kaum noch. Deshalb müssen wir sie der Bevölkerung wieder besser zeigen.

Wie wollen Sie das tun?

Wir arbeiten an einem Konzept. Eine Deza-Ausstellung hat mir gezeigt, dass Strassenaktionen ein möglicher Ansatz sind. Deshalb beauftragte ich, das zu prüfen. Es könnte so aussehen: Wir bauen in Bern eine Brücke über die Aare, lassen Panzer über sie fahren, ziehen ein Infanterie-Sicherungsdispositiv auf – und die Bevölkerung kann zuschauen. Wir wären dann mit aktiven Soldaten eine Woche in Bern, eine Woche in Zürich. In jedem Kanton eine Woche.

Eine relativ spektakuläre Show also?

Das ist heute spektakulär. Vor zwanzig Jahren war das selbstverständlich. Wir müssen aktiv auf die Menschen zugehen. Wir stehen in der Pflicht. Je kleiner eine Armee wird, desto mehr muss man sie zeigen und erklären.

Mehr Kommunikation ist zentral?

Zweifellos.

Ist das auch beim Gripen so?

Von diesem Kampfjet bin ich definitiv überzeugt. Der Gripen hat den Aesa-Radar, mit Meteor die modernste Lenkwaffe und ein Triebwerk, das auch im F/A-18 enthalten ist. Das ist ein Top-Flugzeug. Dieses Projekt muss man nun eng begleiten, man muss aber auch der Öffentlichkeit die Fortschritte zeigen. Wir dürfen offensiver sein, haben nichts zu verstecken. Künftig wollen wir deshalb den Medien einmal pro Halbjahr die Fortschritte in der Entwicklung des Gripen E aufzeigen. Noch unklar ist, wie wir das umsetzen. Ob die Flugzeuge in die Schweiz kommen. Oder ob wir nach Schweden gehen.

 

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