Medienmitteilung EuGH zur Vorratsdatenspeicherung

8. März 2014

Der Ge­richts­hof er­klärt die Richt­li­nie über die Vor­rats­spei­che­rung von Da­ten für un­gül­tig

Sie be­inhal­tet ei­nen Ein­griff von gros­sem Aus­mass und be­son­de­rer Schwe­re in die Grund­rech­te auf Ach­tung des Pri­vat­le­bens und auf den Schutz per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten, der sich nicht auf das ab­so­lut Not­wen­di­ge be­schränkt

Mit der Richt­li­nie über die Vor­rats­spei­che­rung von Da­ten sol­len in ers­ter Li­nie die Vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Vor­rats­spei­che­rung be­stimm­ter von den An­bie­tern öf­fent­lich zu­gäng­li­cher elek­tro­ni­scher Kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­te oder den Be­trei­bern ei­nes öf­fent­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­net­zes er­zeug­ter oder ver­ar­bei­te­ter Da­ten har­mo­ni­siert wer­den. Sie soll da­mit si­cher­stel­len, dass die Da­ten zwecks Ver­hü­tung, Er­mitt­lung, Fest­stel­lung und Ver­fol­gung von schwe­ren Straf­ta­ten wie or­ga­ni­sier­ter Kri­mi­na­li­tät und Ter­ro­ris­mus zur Ver­fü­gung ste­hen. Die Richt­li­nie sieht da­her vor, dass die ge­nann­ten An­bie­ter und Be­trei­ber die Ver­kehrs- und Stand­ort­da­ten so­wie al­le da­mit in Zu­sam­men­hang ste­hen­den Da­ten, die zur Fest­stel­lung des Teil­neh­mers oder Be­nut­zers er­for­der­lich sind, auf Vor­rat spei­chern müs­sen. Da­ge­gen ge­stat­tet sie kei­ne Vor­rats­spei­che­rung des In­halts ei­ner Nach­richt und der ab­ge­ru­fe­nen In­for­ma­tio­nen.

Der iri­sche High Court und der ös­ter­rei­chi­sche Ver­fas­sungs­ge­richts­hof er­su­chen den Ge­richts­hof um Prü­fung der Gül­tig­keit der Richt­li­nie, ins­be­son­de­re im Licht von zwei durch die Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ro­päi­schen Uni­on ge­währ­leis­te­ten Grund­rech­ten, und zwar des Grund­rechts auf Ach­tung des Pri­vat­le­bens so­wie des Grund­rechts auf Schutz per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten.

Der High Court hat über ei­nen Rechts­streit zwi­schen der iri­schen Ge­sell­schaft Di­gi­tal Rights und iri­schen Be­hör­den we­gen der Recht­mäs­sig­keit na­tio­na­ler Mass­nah­men zur Vor­rats­spei­che­rung von Da­ten elek­tro­ni­scher Kom­mu­ni­ka­ti­ons­vor­gän­ge zu ent­schei­den. Der Ver­fas­sungs­ge­richts­hof ist mit meh­re­ren ver­fas­sungs­recht­li­chen Ver­fah­ren be­fasst, die von der Kärnt­ner Lan­des­re­gie­rung so­wie von Herrn Seit­lin­ger, Herrn Tsch­ohl und 11 128 wei­te­ren An­trag­stel­lern an­hän­gig ge­macht wur­den und auf die Nich­ti­g­er­klä­rung der na­tio­na­len Be­stim­mung zur Um­set­zung der Richt­li­nie in ös­ter­rei­chi­sches Recht ge­rich­tet sind.

Mit sei­nem heu­ti­gen Ur­teil er­klärt der Ge­richts­hof die Richt­li­nie für un­gül­tig.

Der Ge­richts­hof stellt zu­nächst fest, dass den auf Vor­rat zu spei­chern­den Da­ten ins­be­son­de­re zu ent­neh­men ist, 1. mit wel­cher Per­son ein Teil­neh­mer oder re­gis­trier­ter Be­nut­zer auf wel­chem Weg kom­mu­ni­ziert hat, 2. wie lan­ge die Kom­mu­ni­ka­ti­on ge­dau­ert hat und von wel­chem Ort aus sie statt­fand und 3. wie häu­fig der Teil­neh­mer oder re­gis­trier­te Be­nut­zer wäh­rend ei­nes be­stimm­ten Zeit­raums mit be­stimm­ten Per­so­nen kom­mu­ni­ziert hat. Aus der Ge­samt­heit die­ser Da­ten kön­nen sehr ge­naue Schlüs­se auf das Pri­vat­le­ben der Per­so­nen, de­ren Da­ten auf Vor­rat ge­spei­chert wer­den, ge­zo­gen wer­den, et­wa auf Ge­wohn­hei­ten des täg­li­chen Le­bens, stän­di­ge oder vor­über­ge­hen­de Auf­ent­halts­or­te, täg­li­che oder in an­de­rem Rhyth­mus er­fol­gen­de Orts­ver­än­de­run­gen, aus­ge­üb­te Tä­tig­kei­ten, so­zia­le Be­zie­hun­gen und das so­zia­le Um­feld.

Der Ge­richts­hof sieht in der Ver­pflich­tung zur Vor­rats­spei­che­rung die­ser Da­ten und der Ge­stat­tung des Zu­gangs der zu­stän­di­gen na­tio­na­len Be­hör­den zu ih­nen ei­nen be­son­ders schwer­wie­gen­den Ein­griff der Richt­li­nie in die Grund­rech­te auf Ach­tung des Pri­vat­le­bens und auf Schutz per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten. Aus­ser­dem ist der Um­stand, dass die Vor­rats­spei­che­rung der Da­ten und ih­re spä­te­re Nut­zung vor­ge­nom­men wer­den, oh­ne dass der Teil­neh­mer oder der re­gis­trier­te Be­nut­zer dar­über in­for­miert wird, ge­eig­net, bei den Be­trof­fe­nen das Ge­fühl zu er­zeu­gen, dass ihr Pri­vat­le­ben Ge­gen­stand ei­ner stän­di­gen Über­wa­chung ist.

So­dann prüft der Ge­richts­hof, ob ein sol­cher Ein­griff in die frag­li­chen Grund­rech­te ge­recht­fer­tigt ist.

Er stellt fest, dass die nach der Richt­li­nie vor­ge­schrie­be­ne Vor­rats­spei­che­rung von Da­ten nicht ge­eig­net ist, den We­sens­ge­halt der Grund­rech­te auf Ach­tung des Pri­vat­le­bens und auf Schutz per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten an­zu­tas­ten. Die Richt­li­nie ge­stat­tet näm­lich nicht die Kennt­nis­nah­me des In­halts elek­tro­ni­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on als sol­chen und sieht vor, dass die Diens­te­an­bie­ter bzw. Netz­be­trei­ber be­stimm­te Grund­sät­ze des Da­ten­schut­zes und der Da­ten­si­cher­heit ein­hal­ten müs­sen.

Die Vor­rats­spei­che­rung der Da­ten zur et­wai­gen Wei­ter­lei­tung an die zu­stän­di­gen na­tio­na­len Be­hör­den stellt auch ei­ne Ziel­set­zung dar, die dem Ge­mein­wohl dient, und zwar der Be­kämp­fung schwe­rer Kri­mi­na­li­tät und so­mit letzt­lich der öf­fent­li­chen Si­cher­heit.

Der Ge­richts­hof kommt je­doch zu dem Er­geb­nis, dass der Uni­ons­ge­setz­ge­ber beim Er­lass der Richt­li­nie über die Vor­rats­spei­che­rung von Da­ten die Gren­zen über­schrit­ten hat, die er zur Wah­rung des Grund­sat­zes der Ver­hält­nis­mäs­sig­keit ein­hal­ten muss­te.

Hier­zu führt der Ge­richts­hof aus, dass an­ge­sichts der be­son­de­ren Be­deu­tung des Schut­zes per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten für das Grund­recht auf Ach­tung des Pri­vat­le­bens und des Aus­mas­ses und der Schwe­re des mit der Richt­li­nie ver­bun­de­nen Ein­griffs in die­ses Recht der Ge­stal­tungs­spiel­raum des Uni­ons­ge­setz­ge­bers ein­ge­schränkt ist, so dass die Richt­li­nie ei­ner strik­ten Kon­trol­le un­ter­liegt.

Zwar ist die nach der Richt­li­nie vor­ge­schrie­be­ne Vor­rats­spei­che­rung der Da­ten zur Er­rei­chung des mit ihr ver­folg­ten Ziels ge­eig­net, doch be­inhal­tet sie ei­nen Ein­griff von gros­sem Aus­mass und von be­son­de­rer Schwe­re in die frag­li­chen Grund­rech­te, oh­ne dass sie Be­stim­mun­gen ent­hiel­te, die zu ge­währ­leis­ten ver­mö­gen, dass sich der Ein­griff tat­säch­lich auf das ab­so­lut Not­wen­di­ge be­schränkt.

Ers­tens er­streckt sich die Richt­li­nie näm­lich ge­ne­rell auf sämt­li­che Per­so­nen, elek­tro­ni­sche Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel und Ver­kehrs­da­ten, oh­ne ir­gend­ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung, Ein­schrän­kung oder Aus­nah­me an­hand des Ziels der Be­kämp­fung schwe­rer Straf­ta­ten vor­zu­se­hen.

Zwei­tens sieht die Richt­li­nie kein ob­jek­ti­ves Kri­te­ri­um vor, das es er­mög­licht, den Zu­gang der zu­stän­di­gen na­tio­na­len Be­hör­den zu den Da­ten und de­ren Nut­zung zwecks Ver­hü­tung, Fest­stel­lung oder straf­recht­li­cher Ver­fol­gung auf Straf­ta­ten zu be­schrän­ken, die im Hin­blick auf das Aus­mass und die Schwe­re des Ein­griffs in die frag­li­chen Grund­rech­te als so schwer­wie­gend an­ge­se­hen wer­den kön­nen, dass sie ei­nen sol­chen Ein­griff recht­fer­ti­gen. Die Richt­li­nie nimmt im Ge­gen­teil le­dig­lich all­ge­mein auf die von je­dem Mit­glied­staat in sei­nem na­tio­na­len Recht be­stimm­ten „schwe­ren Straf­ta­ten“ Be­zug. Über­dies ent­hält die Richt­li­nie kei­ne ma­te­ri­ell- und ver­fah­rens­recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für den Zu­gang der zu­stän­di­gen na­tio­na­len Be­hör­den zu den Da­ten und de­ren spä­te­re Nut­zung. Vor al­lem un­ter­liegt der Zu­gang zu den Da­ten kei­ner vor­he­ri­gen Kon­trol­le durch ein Ge­richt oder ei­ne un­ab­hän­gi­ge Ver­wal­tungs­stel­le.

Drit­tens schreibt die Richt­li­nie ei­ne Dau­er der Vor­rats­spei­che­rung der Da­ten von min­des­tens sechs Mo­na­ten vor, oh­ne dass ei­ne Un­ter­schei­dung zwi­schen den Da­ten­ka­te­go­ri­en an­hand der be­trof­fe­nen Per­so­nen oder nach Mass­ga­be des et­wai­gen Nut­zens der Da­ten für das ver­folg­te Ziel ge­trof­fen wird. Die Spei­che­rungs­frist liegt zu­dem zwi­schen min­des­tens sechs und höchs­tens 24 Mo­na­ten, oh­ne dass die Richt­li­nie ob­jek­ti­ve Kri­te­ri­en fest­legt, die ge­währ­leis­ten, dass die Spei­che­rung auf das ab­so­lut Not­wen­di­ge be­schränkt wird.

Dar­über hin­aus stellt der Ge­richts­hof fest, dass die Richt­li­nie kei­ne hin­rei­chen­den Ga­ran­ti­en da­für bie­tet, dass die Da­ten wirk­sam vor Miss­brauchs­ri­si­ken so­wie vor je­dem un­be­rech­tig­ten Zu­gang und je­der un­be­rech­tig­ten Nut­zung ge­schützt sind. Un­ter an­de­rem ge­stat­tet sie es den Diens­te­an­bie­tern, bei der Be­stim­mung des von ih­nen an­ge­wand­ten Si­cher­heits­ni­veaus wirt­schaft­li­che Er­wä­gun­gen (ins­be­son­de­re hin­sicht­lich der Kos­ten für die Durch­füh­rung der Si­cher­heits­mass­nah­men) zu be­rück­sich­ti­gen, und ge­währ­leis­tet nicht, dass die Da­ten nach Ab­lauf ih­rer Spei­che­rungs­frist un­wi­der­ruf­lich ver­nich­tet wer­den.

Der Ge­richts­hof rügt schliess­lich, dass die Richt­li­nie kei­ne Spei­che­rung der Da­ten im Uni­ons­ge­biet vor­schreibt. Sie ge­währ­leis­tet da­mit nicht in vol­lem Um­fang, dass die Ein­hal­tung der Er­for­der­nis­se des Da­ten­schut­zes und der Da­ten­si­cher­heit durch ei­ne un­ab­hän­gi­ge Stel­le über­wacht wird, ob­wohl die Char­ta dies aus­drück­lich for­dert. Ei­ne sol­che Über­wa­chung auf der Grund­la­ge des Uni­ons­rechts ist aber ein we­sent­li­cher Be­stand­teil der Wah­rung des Schut­zes der Be­trof­fe­nen bei der Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten.

 

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