Das neue Gesetz, das die Tätigkeit des Geheimdienstes regelt, ist unter Dach und Fach. Das letzte Wort könnte allerdings das Stimmvolk haben.
(sda) Der Nationalrat hat heute beim Nachrichtendienstgesetz die letzte Differenz zum Ständerat ausgeräumt. Mit dem neuen Gesetz dürfte der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) Telefone abhören, Privaträume verwanzen und in Computer eindringen. All das stand vor sechs Jahren schon einmal zur Diskussion. Damals scheiterte der Bundesrat am Widerstand von SVP, SP und Grünen. Inzwischen hat der Wind gedreht.
Die SVP befürwortet nun die neuen Überwachungsmöglichkeiten. Ihre Kehrtwende erklärt sie mit der veränderten Bedrohungslage. Der Nachrichtendienst brauche mehr Kompetenzen und zeitgemässe Mittel, um Terroranschläge verhindern zu können. Ohne Sicherheit gebe es keine Freiheit.
Lauschangriff ohne Verdacht
Die Gegner - allen voran die Grünen - warnen vor Lauschangriff und Totalüberwachung. Verdächtige könnten heute schon überwacht werden, auf Anordnung der Strafverfolgungsbehörden, argumentieren sie. Überwachung ohne Verdacht auf eine Straftat sei unhaltbar. Die Grundrechte dürften nicht zugunsten vermeintlicher Sicherheit eingeschränkt werden. Ein Volksentscheid sei nötig.
Verteidigungsminister Ueli Maurer räumte in der parlamentarischen Beratung ein, es gehe um heikle Fragen. Er versicherte gleichzeitig, die neuen Überwachungsmöglichkeiten würden gezielt eingesetzt, nur in etwa zehn Fällen pro Jahr. Der Nachrichtendienst brauche den Heuhaufen nicht, um die Nadel zu finden.
Richter müsste zustimmen
Dass der Nachrichtendienst seine neuen Kompetenzen nicht missbraucht, gewährleisten aus Sicht der Befürworter die gesetzlichen Regeln dazu. Massnahmen wie das Verwanzen von Privaträumen oder das Eindringen in Computer wären genehmigungspflichtig: Zustimmen müsste jeweils neben dem Verteidigungsminister ein Richter des Bundesverwaltungsgerichts.
Die Gegner befürchten, dass die Zustimmung zur Routine würde. Ein Dorn im Auge ist ihnen auch die Kabelaufklärung. Diese ermöglicht es dem Nachrichtendienst, grenzüberschreitende Signale aus Internetkabeln zu erfassen. Damit könnte ins Visier des Nachrichtendienstes geraten, wer bestimmte Begriffe googelt oder in E-Mails erwähnt. Die Gegner monierten, der Nachrichtendienst könne damit «Mini-NSA spielen».
Neue Aufsichtsinstanz
Mit dem Versuch, die neuen Überwachungsmöglichkeiten aus dem Gesetz zu streichen, blieben die Gegner chancenlos. Das Parlament beschloss jedoch, dass der Nachrichtendienst im Gegenzug stärker kontrolliert werden soll. Eine neue unabhängige Aufsichtsbehörde soll prüfen, ob der NDB rechtmässig, zweckmässig und wirksam handelt.
Auch in anderen Punkten brachten die Räte Änderungen an. So steht im Gesetz nun nicht nur, wann der Nachrichtendienst Informationen an eine Strafverfolgungsbehörde weiterleiten darf, sondern auch, dass er dies tun muss, wenn es konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat gibt. Damit will das Parlament verhindern, dass der NDB Informationen zurückhält, weil er mehr über Hintermänner erfahren möchte.
Heikles Terrain
Wie heikel es ist, gesetzliche Grundlagen für den Nachrichtendienst zu formulieren, zeigten die Diskussionen zur Frage, wessen Erlaubnis der NDB braucht, um zur Informationsbeschaffung Computer im Ausland zu hacken. Der Ständerat wollte zunächst, dass - wie bei Massnahmen im Inland - ein Richter des Bundesverwaltungsgerichts entscheidet. Mit dieser Regelung hätte der Nachrichtendienst aber faktisch nie eine Erlaubnis erhalten, da kein Richter eine solche Massnahme auf fremdem Territorium bewilligen könnte. Das Bundesverwaltungsgericht selbst machte darauf aufmerksam.
Am Ende einigten sich die Räte auf eine politische Instanz: Der Verteidigungsminister müsste den Aussenminister und die Justizministerin konsultieren. Der Nationalrat sagte am Dienstag Ja dazu. Will der Nachrichtendienst nicht bloss Informationen beschaffen, sondern Computer im Ausland hacken, um Informationen zu stören, zu verhindern oder zu verlangsamen, soll stets der Gesamtbundesrat entscheiden. Hier blieben die Räte beim Vorschlag der Regierung.
Gegner auf Referendumskurs
Verteidigungsminister Ueli Maurer zeigte sich zufrieden mit dem Ausgang der Beratungen. Das Gesetz bilde eine seriöse Basis für die Arbeit des Nachrichtendienstes, sagte er am Ende der Beratungen. Auch für die Gegner hat sich indes nichts geändert. Sie wollen das Referendum ergreifen.
Auf Widerstandskurs sind neben den Grünen Organisationen wie die Digitale Gesellschaft, grundrechte.ch, Amnesty International und die Stiftung für Konsumentenschutz. Aus ihrer Sicht gäbe das neue Gesetz dem Nachrichtendienst Mittel in die Hand, welche die Tätigkeiten des Dienstes vor der Fichenaffäre als harmlos erscheinen lassen. Sie erinnern an die Enthüllungen von Edward Snowden zum «unfassbaren Ausmass der globalen Überwachung durch westliche Geheimdienste».
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