Trotz umstrittenen Massnahmen nur wenig Kritik

28. Februar 2014

Der Bun­des­rat will die Te­le­fon- und In­ter­net­über­wa­chung der tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lung an­pas­sen. Kri­ti­ker se­hen dar­in ei­nen An­griff auf die Grund­rech­te. Auch bei den Dienst­an­bie­tern regt sich Wi­der­stand.

Jan Flü­cki­ger, NZZ

Bis­her war es er­staun­lich still um die an­ste­hen­de Ge­set­zes­re­vi­si­on. Da­bei geht es um ei­ne grund­le­gen­de Fra­ge: Wie stark darf der Staat im Na­men der Si­cher­heit in die Pri­vat­sphä­re un­be­schol­te­ner Bür­ger ein­drin­gen? In der März­ses­si­on wird sich der Stän­de­rat mit die­ser Fra­ge be­schäf­ti­gen, wenn er die Re­vi­si­on des Bun­des­ge­set­zes über die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs (Büpf) be­han­delt.

Ziel der Re­vi­si­on ist ge­mäss Bun­des­rat, das Ge­setz an die tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung der letz­ten Jah­re an­zu­pas­sen und da­bei, so­weit mög­lich, auch künf­ti­gen Ent­wick­lun­gen Rech­nung zu tra­gen. Tat­säch­lich hat sich die Welt der Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­on in den letz­ten Jahr­zehn­ten ra­sant ent­wi­ckelt. Kom­mu­ni­ziert wird nicht mehr nur über Post, Te­le­fon und E-Mail, son­dern bei­spiels­wei­se auch via ver­schlüs­sel­te Diens­te im In­ter­net. Auch Straf­tä­ter nut­zen die­se Tech­no­lo­gi­en. Die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den ha­ben je­doch heu­te kei­ne Mög­lich­keit, die­se zu über­wa­chen.

Nur mit Ge­richts­be­schluss

Die grund­sätz­li­che Not­wen­dig­keit ei­ner Ge­set­zes­re­vi­si­on wird denn auch kaum be­strit­ten. Zu­mal Über­wa­chun­gen wei­ter­hin nur in ei­nem lau­fen­den Straf­ver­fah­ren an­ge­ord­net wer­den kön­nen. Da­zu braucht es ei­nen be­grün­de­ten An­trag der Staats­an­walt­schaft so­wie ei­nen rich­ter­li­chen Be­schluss. Aus­nah­men sind die Fahn­dung nach ei­ner ver­miss­ten Per­son so­wie neu die Fahn­dung nach ei­nem flüch­ti­gen Straf­tä­ter, ge­gen den ei­ne Frei­heits­stra­fe ver­hängt wur­de.

Den­noch ge­ben di­ver­se Punk­te des Ge­set­zes­ent­wurfs An­lass zur Kri­tik, vor al­lem von­sei­ten der be­trof­fe­nen An­bie­ter von Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons-Dienst­leis­tun­gen (Pro­vi­der) und von Or­ga­ni­sa­tio­nen, wel­che die Ein­schrän­kung der Grund­rech­te be­fürch­ten. Kon­kret sind vor al­lem fol­gen­de Punk­te um­strit­ten: die Ver­län­ge­rung der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung, die Ein­füh­rung von Bun­de­stro­ja­nern so­wie die Aus­wei­tung der Mit­wir­kungs­pflicht.

Zur Vor­rats­da­ten­spei­che­rung: Be­reits heu­te wer­den Ver­bin­dungs­da­ten bei­spiels­wei­se von Mo­bil­te­le­fo­nen ge­spei­chert und müs­sen von den Pro­vi­dern min­des­tens sechs Mo­na­te auf­be­wahrt und auf Er­su­chen der Be­hör­den aus­ge­hän­digt wer­den. Aus die­sen Da­ten wird er­sicht­lich, wer wann wie lang mit wem te­le­fo­niert hat. Nicht ge­spei­chert wer­den die In­hal­te, al­so die Ge­sprä­che sel­ber. Neu sol­len die Da­ten den Be­hör­den 12 Mo­na­te statt 6 Mo­na­te rück­wir­kend zur Ver­fü­gung ste­hen. Die Pro­vi­der be­fürch­ten ei­nen hö­he­ren Auf­wand, da die Auf­be­wah­rung der Da­ten teu­ren Spei­cher­platz be­an­sprucht.

Sämt­li­che Nut­zer er­fasst

Or­ga­ni­sa­tio­nen wie et­wa der Ver­ein «Di­gi­ta­le Ge­sell­schaft» kri­ti­sie­ren die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung grund­sätz­lich, weil da­mit die Da­ten sämt­li­cher Nut­zer ge­spei­chert wer­den, un­ab­hän­gig da­von, ob ge­gen je­man­den ei­ne Er­mitt­lung läuft oder nicht. Das sei ein schwe­rer Ein­griff in die per­sön­li­che Frei­heit. Zu­dem sei un­klar, wie­so die heu­ti­ge Auf­be­wah­rungs­frist von 6 Mo­na­ten nicht rei­che. In der Bot­schaft des Bun­des­ra­tes heisst es, die Er­fah­run­gen der Straf­ver­fol­ger hät­ten ge­zeigt, dass die Frist zu kurz sei. Oft sei sie be­reits ab­ge­lau­fen, wenn die Be­hör­den in der La­ge sei­en, ei­ne Über­wa­chung an­zu­ord­nen.

Eben­falls stark um­strit­ten sind die so­ge­nann­ten Bun­de­stro­ja­ner; im Ge­setz wer­den sie als «Gov­Wa­re» be­zeich­net. Mit die­ser Soft­ware kön­nen die Er­mitt­ler in frem­de Com­pu­ter ein­drin­gen (al­ler­dings bei ei­nem ein­ge­schränk­ten Ka­ta­log von De­lik­ten). Dies sei nö­tig, um bei­spiels­wei­se Te­le­fon­ge­sprä­che ab­zu­hö­ren, die via ver­schlüs­sel­te Diens­te wie Sky­pe ge­führt wür­den, so der Bun­des­rat. Die Tro­ja­ner ber­gen aber di­ver­se Ri­si­ken, was der Bun­des­rat in sei­ner Bot­schaft auch nicht ver­hehlt. So sei es aus Sicht von Fach­leu­ten nicht mög­lich, «Gov­Wa­re» zu be­trei­ben, «die un­ter al­len Um­stän­den kor­rekt funk­tio­niert und kei­nen Ein­fluss auf an­de­re Pro­gram­me und Funk­tio­nen hat». Un­ter an­de­rem be­ste­he die Ge­fahr, dass bei der Ein­schleu­sung des Tro­ja­ners Si­cher­heits­lü­cken im Ziel-Com­pu­ter ent­stün­den, wel­che dann von Drit­ten ge­nutzt wer­den könn­ten, um eben­falls in den Com­pu­ter ein­zu­drin­gen.

Ge­fahr des Miss­brauchs

Den Er­mitt­lern wird durch den Tro­ja­ner er­mög­licht, auf sämt­li­che Da­ten des über­wach­ten Com­pu­ters zu­zu­grei­fen, al­so auch auf pri­va­te Do­ku­men­te, Fo­tos und so wei­ter. Zwar ver­bie­tet das Ge­setz den Er­mitt­lern die Ver­wen­dung die­ser Da­ten vor Ge­richt, doch ge­sam­melt wer­den kön­nen sie trotz­dem. Aus Sicht der Kri­ti­ker be­steht des­halb ein er­heb­li­ches Miss­brauch­s­po­ten­zi­al.

Beim fe­der­füh­ren­den Bun­des­amt für Jus­tiz (BJ) heisst es, man sei sich be­wusst, dass die «Gov­Wa­re» kein ein­fa­ches In­stru­ment sei. Sie dür­fe des­halb nur ein­ge­setzt wer­den, wenn dies «tech­nisch sau­ber» mög­lich sei und die Soft­ware die recht­li­chen Vor­ga­ben er­fül­le. Sämt­li­che ge­sam­mel­ten Da­ten, die nichts mit Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­on zu tun hät­ten, müss­ten so­fort ge­löscht wer­den.

Nach gel­ten­dem Recht sind vom Büpf nur die An­bie­ter von Post- oder Fern­mel­de­diens­ten be­trof­fen, zu de­nen auch die An­bie­ter für den In­ter­net­zu­gang ge­hö­ren, so­wie die Be­trei­ber von in­ter­nen Fern­mel­de­net­zen und Haus­zen­tra­len. Neu sol­len auch die An­bie­ter von «ab­ge­lei­te­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­ten» (et­wa rei­ne E-Mail-Pro­vi­der) so­wie Per­so­nen, die ih­ren In­ter­net­zu­gang Drit­ten zur Ver­fü­gung stel­len (et­wa In­ter­net-Cafés oder Ho­tels, aber auch Pri­va­te), zu den so­ge­nann­ten Mit­wir­kungs­pflich­ti­gen ge­hö­ren.

Kri­ti­ker be­fürch­ten ei­nen mas­si­ven Auf­wand, ge­ra­de für pri­va­te Be­trei­ber von E-Mail-Diens­ten oder Fo­ren und stel­len die Ver­hält­nis­mäs­sig­keit in­fra­ge. Zu­mal aus­ge­rech­net die gros­sen E-Mail-Pro­vi­der dem aus­län­di­schen Ge­setz un­ter­stün­den und nicht be­haf­tet wer­den könn­ten. Das BJ re­la­ti­viert: Der Bun­des­rat ha­be die Mög­lich­keit, klei­ne­re An­bie­ter von ge­wis­sen Pflich­ten zu be­frei­en. Der Gel­tungs­be­reich des Ge­set­zes wer­de im Ver­gleich zu heu­te nicht we­sent­lich aus­ge­baut.

Re­fe­ren­dum an­ge­kün­digt

In­ter­es­sant ist, dass in der stän­de­rät­li­chen Rechts­kom­mis­si­on zu all die­sen grund­sätz­li­chen Fra­gen prak­tisch kei­ne Dis­kus­si­on statt­fand. Es gab ein­zig ei­nen Min­der­heits­an­trag, die Auf­be­wah­rungs­dau­er für Ver­bin­dungs­da­ten auf 8 Mo­na­te zu be­schrän­ken. Und die Kom­mis­si­on hat die Ent­schä­di­gung für die Pro­vi­der ge­stri­chen, wel­che de­ren Auf­wand für die Über­wa­chung zu­min­dest teil­wei­se ab­gilt (im letz­ten Jahr wa­ren dies rund 10 Mil­lio­nen Fran­ken). Hal­ten die Rä­te an die­sem An­trag fest, hät­te dies zwei­er­lei zur Fol­ge: Ers­tens hät­ten die Kon­su­men­ten künf­tig die­se Kos­ten zu tra­gen. Zwei­tens wird be­fürch­tet, dass die Be­hör­den häu­fi­ger zum Mit­tel der Über­wa­chung grei­fen könn­ten, wenn die­se we­ni­ger kos­tet.

Auch ein Grund, wie­so die Vor­la­ge im Stän­de­rat zu­min­dest vor­erst noch für kei­ne Grund­satz­de­bat­te ge­sorgt hat, könn­te sein, dass sich die Stän­de­rä­te pri­mär als Kan­tons­ver­tre­ter ver­ste­hen und des­halb die Po­si­ti­on der Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den ver­tre­ten. Im Na­tio­nal­rat dürf­te die Ge­set­zes­re­vi­si­on für mehr Dis­kus­sio­nen sor­gen.

Soll­te es kei­ne we­sent­li­chen An­pas­sun­gen mehr ge­ben, dann droht das Re­fe­ren­dum. Dies ha­ben so­wohl Bran­chen­ver­tre­ter wie auch di­ver­se po­li­ti­sche Or­ga­ni­sa­tio­nen, et­wa die Grü­nen oder die Pi­ra­ten­par­tei, an­ge­kün­digt.

Mehr Über­wa­chun­gen

Im Jahr 2013 wur­den von den Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den 3945 Echt­zeit­über­wa­chun­gen an­ge­ord­net, 22 Pro­zent mehr als im Vor­jahr. An­fra­gen für rück­wir­ken­de Ver­bin­dungs­nach­wei­se gab es 6915 (mi­nus 0,6 Pro­zent). Da­zu ka­men 125 An­ten­nen­such­läu­fe (Ras­ter­fahn­dung) und 5155 tech­nisch-ad­mi­nis­tra­ti­ve Aus­kunfts­be­geh­ren zu An­schlüs­sen und Teil­neh­mern. Die auf­zu­klä­ren­den De­lik­te be­tra­fen zu je ei­nem Drit­tel schwe­re Wi­der­hand­lun­gen ge­gen das Be­täu­bungs­mit­tel­ge­setz, schwe­re Ver­mö­gens­de­lik­te so­wie di­ver­se an­de­re De­lik­te. Für die Mass­nah­men ent­rich­te­ten die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den 14,7 Mil­lio­nen Fran­ken Ge­büh­ren.

 

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